«Fürchtet euch nicht!»: Wie ein alter Satz plötzlich aktuell wird

Der Mensch fürchtet sich – und gerade das treibt ihn an. Denn ohne Angst kein Aufbruch, ohne Aufschrecken kein Wachstum.

Der Weihnachtsengel hat leicht reden. Selber muss er ja nichts befürchten. Auch wenn er zwischen Himmel und Erde pendelt, so gehört das Flügelwesen doch klar zum himmlischen Personal. Und solange er nicht rebelliert wie Luzifer, kann ihm ernsthaft nichts passieren, er lebt sowieso ewig, und falls es doch mal brenzlig wird, schaltet er auf unsichtbar. Weshalb es etwas vollmundig wirkt, wenn ausgerechnet er uns das Fürchten ausreden will. Davon hat er soviel Ahnung wie die famose KI – nämlich gar keine.

Uns Zweibeinern steckt die Furcht in den Knochen. Ohne Flügel sitzen wir fest, können uns nicht in Sicherheit bringen – vor Krisen, Unwetter, Teuerung, Chefallüren. Und wenn grad nichts Besonderes droht, ängstigen wir uns beharrlich um uns selbst – aus Angst vor Versagen, Absturz, Einsamkeit, Verzweiflung, letztlich vor dem Tod, dem Nichts. Fürchten scheint speziell menschlich. Nicht bloss als leidige Beigabe. Auch als existenzieller Stachel. Ohne Furcht und Angst verhocken wir. Schrumpfen........

© Luzerner Zeitung