»Anna Seghers war für mich ›Tschibi‹« |
Herr Radvanyi, Sie haben bislang unveröffentlichte Briefe von Ihrer Großmutter Anna Seghers an ihren späteren Mann Ladislav Rodi gefunden. Könnten Sie uns noch einmal mitnehmen zu diesem Moment, in dem Ihnen klar wurde, was Sie da eigentlich gefunden haben?
Als mein Vater vor vier Jahren starb, wollte ich alle Dokumente, die bei ihm in seinem Haus geblieben waren, sortieren und dann der Akademie der Künste in Berlin übergeben. Ich wusste, dass es Briefe gab, aber nicht, dass es so viele sind. Dann habe ich in einem kleinen Karton all diese Päckchen gefunden.
Welches Bild bot sich Ihnen?
Mein Vater hatte offenbar alle Briefe gelesen und sie wieder in Umschläge gepackt und sorgfältig zusammengebunden. Zum Glück tat er das in chronologischer Ordnung, denn meine Großmutter hat Briefe nicht datiert. Sehr, sehr oft hat mir nur der Poststempel geholfen, nachträglich eine Ordnung hereinzubringen. Ich ahnte, dass der Fund etwas Erstaunliches war.
Haben Sie durch die Briefe Ihre Großmutter noch einmal neu kennengelernt?
Absolut. Sehen Sie, für mich war die Schriftstellerin Anna Seghers einfach meine Oma. Ich war in meiner Kindheit sehr oft bei meinen Großeltern in Ost-Berlin. Und für mich war sie immer die Dame mit weißem Haar. Meine Großeltern interessierten sich sehr dafür, wie mein Bruder und ich in Paris lebten, was wir im Kino oder im Theater gesehen hatten oder was wir später studierten. Durch die Briefe bin in der jungen Netty Reiling begegnet, einem jüdischen Mädchen, das neben Deutsch auch........