Stand: 29.02.2024, 15:49 Uhr

Von: Petra Kohse

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Ein Nachruf in der Zeitung wie im Falle des Theatermachers René Pollesch ist unersetzlich. Er hilft, sich zu erinnern und zu trauern.

Nachrufe in Zeitungen sind seltsame, berührende Mischwesen. Sie reagieren auf eine aktuelle Nachricht und zielen auf Gültigkeit. Sie handeln vom Privaten wie von öffentlicher Bedeutung. Sie zeichnen nach, was war und beschwören, was nicht mehr sein wird. Sie demonstrieren Allwissen und suchen nach einem persönlich verbindenden Moment. Sie sind so faktenreich wie emotional, sie sprechen vom Einzelfall, aber am Horizont zieht das unbegreifbare Ganze stets mit auf: dass Leben endet, überall und immerdar. Nachrufe sind die Spur, auf der sich ein Schreibender in die Rück-Sicht begibt: Hier ging ein Mensch. Jetzt nicht mehr.

Natürlich ist das Nachrufschreiben auch eine Praxis. Es gibt vorgeschriebene, abgeschriebene, schnell zusammengestellte Beiträge, die routiniert journalistische Etikette wahren. Auch diese haben ihren würdigenden und bildenden Wert und sind mitunter nachdenklich stimmende Gedenksteinchen im Nachrichtengetriebe.

Nicht wenige Personen lernt man lesend erst in ihrem Nachruf kennen und fühlt sich ihnen in aeterna absentia dennoch frisch verbunden. Besondere Kraft aber haben jene Nachrufe, die aus dem schockierten Moment heraus entstehen, in dem eine Todesnachricht roh und bestürzend in den Alltag öffentlichen Lebens einbricht. Sie, die spürbar Fassung suchen, haben die Macht, Gemeinschaft zu stiften, sind Ritual und Trost, ein Innehalten, stellvertretendes Ringen um Verständnis.

Im Falle echter Erschütterung ist mir als Leserin der Tageszeitungsnachruf unersetzbar. Und zwar in gedruckter Form. Kein Social-Media-Post – und schon gar keine Flut davon, kein virtuelles Kondolenzbuch – transportiert, was ein Zeitungsnachruf außer seinem Inhalt aufgrund seiner Produktionsbedingungen stets mit kommuniziert: dass auch im Fall des Äußersten eine Form erfüllt werden kann, dass sich Zeit findet, wo keine war, dass Platz geschaffen und gefüllt wird und zwar trotz Bestürzung bestmöglich und zum gesetzten Termin, dass eine Zeitung auch mit diesem Beitrag erscheinen und wieder alt werden kann, dass nichts gut ist, aber sich die Erde weiterdreht.

Das Konzept des Nachrufs als einer ausformulierten Würdigung, einer Grabrede letztlich, hat Mitte des 19. Jahrhunderts Eingang in die Zeitung gefunden. Es ist ein Kind des ersten Strukturwandels von Öffentlichkeit. Wer den Beitrag las, stand gewissermaßen mit im Kreis der Trauernden. Keine digitale Form kann den würdevollen Abstand dieses „Gewissermaßen“ ersetzen. Digitale Kommunikation zielt auf Unmittelbarkeit und Teilhabe. Auf das Innerste im Äußersten, das Überwinden von Form. Wer aber etwas fassen will, braucht Fassung.

Im öffentlichen Nachrufschreiben steckt kulturelle Kompetenz. Es geht nicht um die schnelle Recherche und dass man zufällig etwas weiß oder jemanden kannte. Es geht um die Tatsache, sich Zeit zu nehmen, Platz zu machen, kurz stehenzubleiben. Es ist einer der vielen weiteren Fälle für den Schutz immateriellen Kulturerbes, finde ich.

Am Montag, den 26. Februar starb der Theatermacher René Pollesch mit 61 Jahren. Die Nachricht steht in einer Reihe mit der vom Tod Heiner Müllers, Einar Schleefs und noch einiger, viel zu vieler. Man kann sich nicht nur die Theaterwelt plötzlich nicht mehr denken. Ich bin in den folgenden Tagen ausgegangen und habe Zeitungen gekauft. Und ich bin allen dankbar, in denen ein Nachruf zu finden war.

Petra Kohse ist Kulturredakteurin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.

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29.02.2024

Stand: 29.02.2024, 15:49 Uhr

Von: Petra Kohse

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Ein Nachruf in der Zeitung wie im Falle des Theatermachers René Pollesch ist unersetzlich. Er hilft, sich zu erinnern und zu trauern.

Nachrufe in Zeitungen sind seltsame, berührende Mischwesen. Sie reagieren auf eine aktuelle Nachricht und zielen auf Gültigkeit. Sie handeln vom Privaten wie von öffentlicher Bedeutung. Sie zeichnen nach, was war und beschwören, was nicht mehr sein wird. Sie demonstrieren Allwissen und suchen nach einem persönlich verbindenden Moment. Sie sind so faktenreich wie emotional, sie sprechen vom Einzelfall, aber am Horizont zieht das unbegreifbare Ganze stets mit auf: dass Leben endet, überall und immerdar. Nachrufe sind die Spur, auf der sich ein Schreibender in die Rück-Sicht begibt: Hier ging ein Mensch. Jetzt nicht mehr.

Natürlich ist das Nachrufschreiben........

© Frankfurter Rundschau


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