«Mehr bezahlen für insgesamt weniger Rente», predigen seit Monaten Exponenten von SP und Gewerkschaften. «Ausgerechnet Arbeitnehmende mit tiefen und mittleren Löhnen müssten mit BVG 21 nun viel mehr bezahlen – für insgesamt weniger Rente. Und die Frauen sollen nach der Erhöhung des Rentenalters noch ein zweites Mal bezahlen.» Die seit Jahren sinkenden Umwandlungssätze führten zu Renteneinbussen. Mit diesen Argumenten sammeln sie Unterschriften gegen die BVG-Reform.

Nicht erwähnt wird, dass der Umwandlungssatz im Obligatorium – also für die kleinen Löhne und Renten, seit 2004 mit 6,8% gleich geblieben ist. Mit der BVG-Reform werden Kompensationsmassnahmen über fünfzehn Jahre die Reduktion des Umwandlungssatzes auf 6% mehr als wettmachen und Rentenverluste verhindern. Unerwähnt bleibt auch, dass diese Revision besonders für Frauen und Kleinverdiener den Eintritt in die zweite Säule eröffnet. Damit werden niedrige Löhne von Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigten auch in der beruflichen Vorsorge für Alter, Tod und Invalidität versichert.

Nun hat die Oberaufsichtskommission über die berufliche Vorsorge (OAK) in ihrem neuesten Bericht festgestellt, dass seit der Einführung der zweiten Säule die Pensionskassen die in der Bundesverfassung gesetzten Ziele übertroffen haben. Der durchschnittliche Mindestzins der im Obligatorium seit 1985 den Versicherten gutgeschrieben wurde, liegt 1,1% über dem im gleichen Zeitraum erreichten Lohnwachstum. «Dies führt im BVG-Obligatorium zu einer Rente von 41% des letzten koordinierten Lohnes, wodurch das Leistungsziel von 60% des AHV-Lohns aus der ersten und zweiten Säule für den gesamten Lohnbereich des BVG-Obligatoriums übertroffen oder zumindest erreicht wird,» heisst es im Bericht der Kontrollbehörde. Damit hat «der für die zweite Säule charakteristische dritte Beitragszahler die in ihn gesteckten Erwartungen bisher erfüllt oder sogar übertroffen.» Die Behauptung der SP- und Gewerkschaftsvertreter, mehr bezahlen für insgesamt weniger Rente, ist somit widerlegt und falsch.

Weil die zweite Säule erst 1985 in Kraft getreten ist, werden die Erwerbstätigen erst nach 2024 voll vom BVG erfasst sein. Aber schon heute erhalten Pensionierte gemäss Neurentenstatistik 2021 im Durchschnitt über Schweizer und Ausländer, Frauen und Männer hinweg Pensionskassenrenten von 2162 Fr. Zusammen mit der AHV-Rente von 2450 Fr. wird das Leistungsziel von 60% des BVG-versicherten Lohnes damit übertroffen. Schweizer Ehepaare erhalten von den Pensionskassen – Mann 2675 Fr. und Frau 1603 Fr. – im Durchschnitt und mit der plafonierten Ehepaarrente von 3675 Fr. zusammen sogar Renten von fast 8000 Fr. pro Monat. Ermöglicht haben dies besonders zugunsten der Rentenbezüger im unteren Lohnbereich die aktiven Versicherten, also die jungen sowie die Erwerbstätigen mit hohen Löhnen. Wie in der AHV haben sie im Überobligatorium solidarisch die kleinen Einkommen und ihre Rentner mitfinanziert. Wie ist das geschehen?

«Wenn die Gewerkschafter klagen, die Finanzbranche bediene sich am Vorsorgekapital, dann fällt diese Kritik auf ihre Vertreter im Stiftungsrat zurück.»

Im Verlauf der letzten zehn Jahre wurden die Pensionskassen vom Gesetzgeber gezwungen, Sicherheiten aufzubauen, um die Renten zu garantieren. Medial wurde von systemwidrigen Umverteilungen geschrieben. In der Tat haben die Vorsorgeeinrichtungen in den letzten neun Jahren – immer gemäss OAK – 45 Mrd. Fr. zugunsten der Rentner von kleinen Einkommen umverteilt. Seit 2014 haben damit die aktiven Versicherten rund 5 Mrd. Fr. pro Jahr den Rentnern und besonders den obligatorisch Versicherten überlassen. Das sind zwar nur 0,5% des heute gesamten vorhandenen Sparkapitals, doch dieser Teil fehlt als Zinsgutschrift auf dem Alterskapital der überobligatorisch Versicherten. Wie haben das die Pensionskassen umgesetzt?

Gemäss den verschärften gesetzlichen Vorschriften haben die Vorsorgeeinrichtungen den technischen Zins – also die Höhe der Verzinsung der Rentenkapitalien – herabgesetzt, die Lebenserwartung heraufgesetzt und damit den Umwandlungssatz im Überobligatorium drastisch gesenkt, was zu niedrigeren Renten bei Versicherten mit hohen Löhnen führte. Darunter leiden heute die unmittelbar vor der Pensionierung stehenden sowie die kürzlich pensionierten Versicherten.

Ob die jüngeren Erwerbstätigen in Zukunft auch noch zu systemwidriger Umverteilung beitragen müssen, hängt von der Entwicklung des dritten Beitragszahlers, also dem Kapitalertrag der Pensionskasse ab. Erreicht er wieder 3 oder sogar 4%, dann können sie mit hohen Renten rechnen. Bei steigenden Zinsen und Renditen werden die Pensionskassen künftig auch jene Kohorten von Pensionierten, die unter der Senkung der Umwandlungssätze gelitten haben, mit grösster Wahrscheinlichkeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten entschädigen. Das Jahr 2022 sendet auch schon positive Signale aus. Vieles deutet darauf hin, dass die Umverteilung abgeschlossen ist. Gemäss OAK erhielten die aktiv Versicherten erstmals seit längerer Zeit wieder mehr Gelder zugewiesen, mussten doch keine Umverteilungen vorgenommen werden, da die Rückstellungen für laufende Renten sowie für Pensionierungsverluste ausreichend sind.

Die Versicherten hätten eine teure Vorlage zu bezahlen und die «Selbstbedienungsmentalität der Finanzindustrie gehe weiter», kritisiert SP Co-Präsidentin Mattea Meyer. Einmal mehr halten sich die Gegner der zweiten Säule nicht an die Fakten. Tatsache ist, dass die Pensionskasse als Stiftung rechtlich und wirtschaftlich von der Unternehmung unabhängig und paritätisch in der Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern geführt wird. Die Finanzindustrie bedient sich nicht am Alterskapital.

Im Gegenteil: Die gewählten Stiftungsräte entscheiden gemäss Gesetz über die zentralen Parameter wie Umwandlungssatz, technischer Zinssatz, Sterbetafeln und besonders auch über die Kapitalanlage. Soll das anvertraute Kapital selbst verwaltet werden? Sollen Teile oder das gesamte Kapital unter laufender Kontrolle des obersten Organes einem Verwalter übergeben werden? Darüber entscheidet der Stiftungsrat. Er haftet ja auch bei Schäden solidarisch. Wenn die Gewerkschafter klagen, die Finanzbranche bediene sich am Vorsorgekapital, dann fällt diese Kritik auf ihre Vertreter im Stiftungsrat zurück. Denn nur sie entscheiden darüber, wie das Kapital angelegt wird – nicht die Finanzindustrie.

Ebenfalls total negiert wird die Tatsache, dass jeder Einzelne seine Altersvorsorge in der zweiten Säule für sich selbst sichert. Das geschieht nicht von heute auf morgen, sondern beginnt mit 25 Jahren und endet i.d.R. mit 65. Über vierzig Jahre bezahlen die Sozialpartner paritätisch – häufig bezahlt der Arbeitgeber mehr als 50% – ihre Beiträge auf das individuelle Konto ein. Mit dem Zinseszinseffekt resultiert daraus, wie die Entwicklung seit 1985 gezeigt hat, eine ansehnliche Rente. Wer diese Fakten verfälscht oder sogar leugnet, der widerspricht nicht nur sich selber, sondern schadet auch der Sozialpartnerschaft und dem bewährten Dreisäulensystem. Denn die umlagefinanzierte AHV mit ihrer ausgeprägten Umverteilung von hohen zu niedrigen Einkommen – 92% der AHV-Rentner haben ihre Rente nicht mit eigenen Beiträgen finanziert – und die kapitalgedeckte paritätisch geführte zweite Säule ergänzen sich über die Konjunkturwellen hinweg in idealer Weise.

Werner C. Hug ist freier Bundeshausjournalist und spezialisiert auf Fragen der sozialen Sicherheit.

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QOSHE - Achtung – Fake News zur zweiten Säule - Werner C. Hug
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Achtung – Fake News zur zweiten Säule

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30.05.2023

«Mehr bezahlen für insgesamt weniger Rente», predigen seit Monaten Exponenten von SP und Gewerkschaften. «Ausgerechnet Arbeitnehmende mit tiefen und mittleren Löhnen müssten mit BVG 21 nun viel mehr bezahlen – für insgesamt weniger Rente. Und die Frauen sollen nach der Erhöhung des Rentenalters noch ein zweites Mal bezahlen.» Die seit Jahren sinkenden Umwandlungssätze führten zu Renteneinbussen. Mit diesen Argumenten sammeln sie Unterschriften gegen die BVG-Reform.

Nicht erwähnt wird, dass der Umwandlungssatz im Obligatorium – also für die kleinen Löhne und Renten, seit 2004 mit 6,8% gleich geblieben ist. Mit der BVG-Reform werden Kompensationsmassnahmen über fünfzehn Jahre die Reduktion des Umwandlungssatzes auf 6% mehr als wettmachen und Rentenverluste verhindern. Unerwähnt bleibt auch, dass diese Revision besonders für Frauen und Kleinverdiener den Eintritt in die zweite Säule eröffnet. Damit werden niedrige Löhne von Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigten auch in der beruflichen Vorsorge für Alter, Tod und Invalidität versichert.

Nun hat die Oberaufsichtskommission über die berufliche Vorsorge (OAK) in ihrem neuesten Bericht festgestellt, dass seit der Einführung der zweiten Säule die Pensionskassen die in der Bundesverfassung gesetzten Ziele übertroffen haben. Der durchschnittliche Mindestzins der im Obligatorium seit 1985 den Versicherten gutgeschrieben wurde, liegt 1,1% über dem im gleichen Zeitraum erreichten Lohnwachstum. «Dies führt im BVG-Obligatorium zu einer Rente von 41% des letzten koordinierten Lohnes, wodurch das Leistungsziel von 60% des AHV-Lohns aus der ersten und zweiten Säule für den gesamten Lohnbereich des BVG-Obligatoriums übertroffen oder zumindest erreicht wird,» heisst es im Bericht der Kontrollbehörde. Damit hat «der für die zweite Säule charakteristische dritte Beitragszahler die in ihn gesteckten........

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