Man muss dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez politischen Instinkt und eine gehörige Portion Kühnheit attestieren: Kaum war das Ausmass der herben Niederlage seiner PSOE-Partei in den Kommunal- und Regionalwahlen vom vergangenen Wochenende bekannt, kündigte er völlig überraschend vorgezogene Parlamentswahlen für den 23. Juli an. Sie waren erst gegen Ende Jahr anberaumt, und die meisten Analysten rechneten damit, dass Pedro Sánchez die turnusgemässe EU-Ratspräsidentschaft Spaniens, die am 1. Juli startet, effektvoll nutzen würde, um auch innenpolitisch zu punkten.
Nun, in Eigenregie, ohne sein Kabinett oder den Parteivorstand zu konsultieren, wagt er in bekannter Manier die Flucht nach vorn und reisst das politische Heft an sich, damit «das Volk demokratisch über die unmittelbare Zukunft Spaniens entscheide». Dieser Ad-hoc-Entschluss, der Freund und Feind, aber auch die breite Öffentlichkeit verblüfft hat, ist durchaus mit politischem Kalkül gewählt. Am 23. Juli wird die Hälfte der Spanier bereits im Urlaub sein, was das Wahlverhalten vieler Bürger beeinflussen könnte. Manche von ihnen werden wohl den Postweg suchen, um ihren Wahlzettel abzugeben. Findige Soziologen sind der Meinung, dass insbesondere konservative Wähler mobiler sind und deshalb dann auch tatsächlich in die Ferien fahren, was das Abstimmen zumindest erschwert. Demokratisches Fairplay sieht anders aus.
Aber wieso hat sich der Regierungschef zu einem solchen Vorstoss durchgerungen? Ein Blick auf die politische Landkarte Spaniens genügt, um rasch zu begreifen, dass der konservative Sieg vom vergangenen Sonntag durchaus Tsunami-ähnlichen Charakter aufweist. Obwohl «nur» ein Vorsprung von gegen 3% für die Volkspartei PP gegenüber dem PSOE resultiert, brechen den Sozialisten wichtige Hochburgen weg: Regionen wie Aragón, Valencia, Balearen, Extremadura und Kantabrien, aber auch symbolträchtige Städte wie Sevilla, Granada, Huelva, Toledo, Murcia, Logroño, Saragossa und Valladolid gingen an die Konservativen, und in Madrid und Málaga errangen sie gar die absolute Mehrheit.
Viele der rund 8100 spanischen Kommunen wechselten von Rot (PSOE) zu Blau (PP). Sogar in Barcelona verlor eine Galionsfigur der Linken, die schillernde Ada Colau, ihren Posten. Dort gewann der frühere, separatistische Bürgermeister Xavier Trias, der die prominente Stadt am Mittelmeer zu altem Glanz zurückführen will.
«Sánchez hätte es wissen müssen: Eine Politik, die nur auf Bühnenwirkung setzt, gerät zur Posse.»
Doch nicht nur wichtige sozialistische Sinekuren fielen reihenweise um, wie Dominosteinchen, sondern ebenso der Juniorpartner von Sánchez, die kommunistische Podemos, erlebte ein veritables Desaster. Die aus einer Protestbewegung im Zuge der Finanz -und Wirtschaftskrise von 2008 hervorgegangene Podemos, die in den letzten Jahren erheblich zur Radikalisierung der spanischen Gesellschaft beigetragen hat, ist nun in einem desolaten Zustand.
Auch die von der umtriebigen Arbeitsministerin und Vizepräsidentin Yolanda Díaz gegründete linke Bewegung Sumar vermochte nicht richtig zu überzeugen, zumal ihr die restlichen Splittergruppen im linken Spektrum nicht die erwünschte Zugkraft einbrachten. Im Grunde genommen sieht sich Yolanda Díaz als zukünftige Leuchtfigur einer wie auch immer zusammengewürfelten Linken; bereits laufen Verhandlungen mit der angeschlagenen Podemos, um am 23. Juli zu den Parlamentswahlen gemeinsam anzutreten.
Ob ihnen die Zeit reicht für solch einfallsreiche Formationsübungen, ist mehr als fraglich, denn die Linke ist hoffnungslos zersplittert, und was Pedro Sánchez und seine vielen Koalitionspartner aus dem linken und separatistischen Regenbogen noch nicht ganz verstanden haben, ist, dass der Souverän von solchen Kapriolen vorläufig genug hat. Die sogenannte Frankenstein-Konstellation, die zur jetzigen Regierung aus Sozialisten (PSOE) und Kommunisten (Podemos) mit der Unterstützung von katalanischen und baskischen Separatisten geführt hat, ist an ein Ende gekommen. Spätestens als die baskische Bildu-Partei, die Sánchez parlamentarisch unterstützt, sieben ehemalige Eta-Terroristen auf die Wahllisten setzte, war der landesweite Skandal nicht mehr zu kaschieren. Bildu nahm diese Leute dann von der Liste weg, aber der immense Schaden war angerichtet und hat bestimmt auch zur jetzigen politischen Schlappe der Regierungsparteien beigetragen.
Pedro Sánchez hat wohl Otto von Bismarcks Ausspruch, «Politik ist die Kunst des Möglichen» in den vergangenen Jahren so oft durchdekliniert, dass er am Schluss daraus «die Kunst, Mögliches unmöglich zu machen» abgeleitet hat. Seine Politik, die auf der propagandistischen Konstruktion einer sehr persönlichen Medienrealität fusste, ist entlarvt und nahe dabei, wie ein Kartenhäuschen zusammenzufallen. Er hätte es wissen müssen: Eine Politik, die nur auf Bühnenwirkung setzt, gerät zur Posse.
Der Ministerpräsident regiert seit fünf Jahren mit den geringsten Voten in der Geschichte der spanischen Demokratie. Er ist ein Überlebenskünstler, der mit viel Geschick und auch Courage ausweglose Situationen gemeistert hat. Die Politik scheint für ihn ein grosser Zirkus zu sein, wo er als Meister der Objektmanipulation auftritt, als virtuoser Jongleur unmöglicher Konstellationen, als Houdini unaussprechlicher Pakte. Sánchez und seine Souffleure sind Anhänger einer postmodernen Dekonstruktion, wie Michel Foucault sie predigte, wonach «die Ordnung der Dinge und die Kategorien des Denkens nicht materiell vorgegeben sind, sondern sprachlich erzeugt werden». Ordnungen sind Produkte von Interessen und der Ausübung von Herrschaft durch Ausschliessung. So erklärt sich die starke Radikalisierung der spanischen Politik der letzten Jahre.
Das jüngste Wahlresultat ist eine Zäsur, eine erste Korrektur. Die definitive Weichenstellung der zukünftigen politischen Orientierung des Landes findet mit den Parlamentswahlen am 23. Juli statt. Bereits warnen die linken Claqueure im Stile des «no pasarán» vor einer unheilvollen Rechten, vor einer Allianz zwischen der Volkspartei PP und der erstarkten rechtsnationalistischen Vox, die zukünftig das Zünglein an der Waage spielen könnte. In Spanien hat am vergangenen Sonntag kein Rechtsrutsch stattgefunden, sondern es ist eine politische Alternanz eingetreten und damit die Möglichkeit einer neuen Normalität.
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Spanien vor entscheidenden Wahlen
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02.06.2023
Man muss dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez politischen Instinkt und eine gehörige Portion Kühnheit attestieren: Kaum war das Ausmass der herben Niederlage seiner PSOE-Partei in den Kommunal- und Regionalwahlen vom vergangenen Wochenende bekannt, kündigte er völlig überraschend vorgezogene Parlamentswahlen für den 23. Juli an. Sie waren erst gegen Ende Jahr anberaumt, und die meisten Analysten rechneten damit, dass Pedro Sánchez die turnusgemässe EU-Ratspräsidentschaft Spaniens, die am 1. Juli startet, effektvoll nutzen würde, um auch innenpolitisch zu punkten.
Nun, in Eigenregie, ohne sein Kabinett oder den Parteivorstand zu konsultieren, wagt er in bekannter Manier die Flucht nach vorn und reisst das politische Heft an sich, damit «das Volk demokratisch über die unmittelbare Zukunft Spaniens entscheide». Dieser Ad-hoc-Entschluss, der Freund und Feind, aber auch die breite Öffentlichkeit verblüfft hat, ist durchaus mit politischem Kalkül gewählt. Am 23. Juli wird die Hälfte der Spanier bereits im Urlaub sein, was das Wahlverhalten vieler Bürger beeinflussen könnte. Manche von ihnen werden wohl den Postweg suchen, um ihren Wahlzettel abzugeben. Findige Soziologen sind der Meinung, dass insbesondere konservative Wähler mobiler sind und deshalb dann auch tatsächlich in die Ferien fahren, was das Abstimmen zumindest erschwert. Demokratisches Fairplay sieht anders aus.
Aber wieso hat sich der Regierungschef zu einem solchen Vorstoss durchgerungen? Ein Blick auf die politische Landkarte Spaniens genügt, um rasch zu begreifen, dass der konservative Sieg vom........
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