Mit dem am 4. Mai öffentlich bekannt gewordenen, für die Publikation vorgesehenen Urteil in den Verfahren 2D_53/2020 und 2D_25/2021 stärkt das Bundesgericht die freie Wirtschaftsordnung. Nur selten kann sich das höchste Gericht dazu äussern, inwiefern unsere Verfassungsordnung Private vor Marktverzerrungen und unfairem Wettbewerb durch staatlich beherrschte und privilegierte Unternehmen schützt. Im Jahr 2012 bot sich mit dem Fall der «Glarnersach» (Eintritt eines kantonalen Versicherungsmonopolisten in den Wettbewerb mit privaten Versicherungsunternehmen) eine solche Gelegenheit, nun folgte mit dem Fall «My Leukerbad AG» eine weitere.
Obwohl Kantone und Gemeinden seit jeher Unternehmen in Konkurrenz zu Privatgesellschaften besitzen oder betreiben (z.B. Spitäler und Heime, Gast-, Land- und Forstwirtschaftsbetriebe, Weingüter und Kellereien, touristische Anlagen, Sportanlagen, Transportunternehmen, Banken, Versicherungen, Energieversorger), gelangen kaum je Fälle zur höchstrichterlichen Klärung, was aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zu bedauern ist.
Im Fall «My Leukerbad» rief ein Unternehmer, der in Leukerbad ein Thermalbad betreibt, das Bundesgericht an und rügte eine Verletzung der aus der Wirtschaftsfreiheit von Art. 27 BV fliessenden Garantie der Gleichbehandlung der direkten Konkurrenten. Diese direkte Konkurrenz zeigt sich in Gestalt von My Leukerbad, die ein zweites Thermalbad in Leukerbad betreibt und ein nach dem Obligationenrecht und dem Walliser Tourismusgesetz inkorporiertes und betriebenes Fremdenverkehrsunternehmen ist, dessen Aktien lange Zeit die Einwohnergemeinde Leukerbad allein gehalten hatte, bevor die Burgergemeinde Leukerbad als weitere Aktionärin hinzutrat. My Leukerbad nimmt neben dem Erlös für ihre Dienstleistungen pro Jahr zusätzlich bis zu 4 Mio. Fr. an «Taxen und Beiträgen» dadurch ein, dass die Gemeinde Leukerbad sämtliche Einnahmen aus den von ihr erhobenen Kur- und Tourismusförderungstaxen an sie überweist.
Um mit gleich langen Spiessen wirtschaften zu können, stellte die Privatgesellschaft den Antrag, auch ihr seien aus dem Kurtaxenertrag Beiträge auszurichten, denn wenn einzig My Leukerbad für den Betrieb ihres Thermalbades Kurtaxengelder erhalte, werde der Markt für Thermalbaddienstleistungen in Leukerbad verzerrt: My Leukerbad könne dank staatlicher Subventionen den lokalen Thermalbadmarkt dominieren und die Konkurrenz vom Markt verdrängen. Der Gemeinderat von Leukerbad und die als Rechtsmittelinstanz agierende Kantonsregierung wiesen dieses Rechtsbegehren ab. Die Walliser Kantonsregierung hat ihren Entscheid ausserdem für endgültig und nicht anfechtbar deklariert. Das gleichwohl angerufene Walliser Kantonsgericht trat auf die Beschwerde nicht ein, weil es sich um einen Entscheid mit vorwiegend politischem Charakter handle, der einer gerichtlichen Überprüfung entzogen sei.
«Nur wer für sein Recht auf eine freie Wirtschaftsordnung einsteht, ist der Marktwirtschaft auch würdig.»
Das Bundesgericht erteilte in detaillierten Erwägungen zunächst der von den kantonalen Instanzen vertretenen Ansicht eine Absage, das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführerin habe gegen kommunalpolitische Überlegungen in den Hintergrund zu treten. Der Umstand etwa, dass dem Gemeinderat bei der Ausrichtung von Ertrag aus den Kurtaxen Ermessen zukommt, kann bei der Beurteilung, ob der Entscheid über deren Ausrichtung politischen Charakter hat, nicht ausschlaggebend sein. Das Bundesgericht hat also entschieden, dass das Privatunternehmen in dieser Konstellation ein Anrecht darauf hat, sein Anliegen durch ein Gericht beurteilen zu lassen. Die von den kantonalen Instanzen angestrebte Ausschaltung der richterlichen Kontrolle verletzt den in der Bundesverfassung garantierten Anspruch auf individualrechtlichen Rechtsschutz.
In der Sache hat das Bundesgericht sodann entschieden, dass My Leukerbad mit dem Betrieb ihres Thermalbads keine öffentliche Aufgabe wahrgenommen hat. Will der Staat durch öffentliche Unternehmen im Wettbewerb auftreten, so ist dafür eine formell-gesetzliche Grundlage erforderlich, die hinreichend bestimmt sein muss. Die im Walliser Gesetz über den Tourismus allgemein gehaltenen Bestimmungen bieten keine Grundlage dafür, ein Thermalbad durch ein öffentliches Unternehmen betreiben zu lassen. Folglich betreibt My Leukerbad – ungeachtet dessen, dass ihre Aktien vom Gemeinwesen gehalten werden – ihr Thermalbad privatwirtschaftlich.
Bei dieser privatwirtschaftlichen Tätigkeit gebietet nun aber der Grundsatz der staatlichen Wettbewerbsneutralität eine Gleichbehandlung von My Leukerbad mit der privaten Thermalbadbetreiberin, die in direkter Konkurrenz zu My Leukerbad steht. Demzufolge hat das Bundesgericht das kantonale Urteil aufgehoben und das Kantonsgericht Wallis zu ermitteln verpflichtet, in welcher Höhe My Leukerbad Beiträge aus dem Kurtaxenertrag für den Betrieb ihres Thermalbads erhalten hat. Anhand dieser Feststellungen muss das Kantonsgericht sodann im Lichte des Grundsatzes der Gleichbehandlung über die Anträge der Privatgesellschaft auf Beiträge aus dem Kurtaxenertrag entscheiden.
Das Bundesgericht hat seinen Spruch zur amtlichen Publikation vorgesehen. Er ist in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen: Wer als Unternehmer im Wettbewerb mit einem ohne hinreichende Gesetzesgrundlage durch den Staat privilegierten Betrieb steht, kann sich erfolgreich auf die Wirtschaftsfreiheit berufen und Gleichbehandlung verlangen. Wollen Kantone und Gemeinden mit einem öffentlichen Unternehmen im privatwirtschaftlichen Wettbewerb Dienstleistungen und Produkte anbieten, so benötigen sie für jede Tätigkeit eine klare gesetzliche Grundlage. Schweizer Kommunen müssen nach diesem Urteil sorgfältig prüfen, ob für sämtliche Tätigkeiten der von ihnen heute unterhaltenen Betriebe überhaupt eine genügende Gesetzesgrundlage besteht.
Gefordert sind aber auch die Unternehmen: Nur wer für sein Recht auf eine freie Wirtschaftsordnung einsteht, ist der Marktwirtschaft auch würdig. Ebenso wie ein Unternehmer bei Verhandlungen mit Gegenparteien hartnäckig und bei der Vermarktung seiner Produkte innovativ zu sein hat, muss er auch hartnäckig und innovativ vorgehen, um sich juristisch gegen wettbewerbsverzerrenden Staatskapitalismus zu wehren. Dazu gehört mitunter auch, einen von kantonalen Instanzen als «endgültig» und nicht anfechtbar erklärten Entscheid trotzdem ans Bundesgericht weiterzuziehen. Denn das Bundesgericht kann nur dann Entscheide zugunsten der Wirtschaftsfreiheit fällen, wenn ein bedrängter Unternehmer überhaupt eine Beschwerde in Lausanne einreicht.
Roland Märki, MLaw, ist Rechtsanwalt bei der Kiener & Märki, Zürich, und hat den privaten Thermalbadbetreiber in den Verfahren 2D_53/2020 und 2D_25/2021 vor Bundesgericht vertreten.
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Privilegien von Staatsbetrieben sind justiziabel
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31.05.2023
Mit dem am 4. Mai öffentlich bekannt gewordenen, für die Publikation vorgesehenen Urteil in den Verfahren 2D_53/2020 und 2D_25/2021 stärkt das Bundesgericht die freie Wirtschaftsordnung. Nur selten kann sich das höchste Gericht dazu äussern, inwiefern unsere Verfassungsordnung Private vor Marktverzerrungen und unfairem Wettbewerb durch staatlich beherrschte und privilegierte Unternehmen schützt. Im Jahr 2012 bot sich mit dem Fall der «Glarnersach» (Eintritt eines kantonalen Versicherungsmonopolisten in den Wettbewerb mit privaten Versicherungsunternehmen) eine solche Gelegenheit, nun folgte mit dem Fall «My Leukerbad AG» eine weitere.
Obwohl Kantone und Gemeinden seit jeher Unternehmen in Konkurrenz zu Privatgesellschaften besitzen oder betreiben (z.B. Spitäler und Heime, Gast-, Land- und Forstwirtschaftsbetriebe, Weingüter und Kellereien, touristische Anlagen, Sportanlagen, Transportunternehmen, Banken, Versicherungen, Energieversorger), gelangen kaum je Fälle zur höchstrichterlichen Klärung, was aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zu bedauern ist.
Im Fall «My Leukerbad» rief ein Unternehmer, der in Leukerbad ein Thermalbad betreibt, das Bundesgericht an und rügte eine Verletzung der aus der Wirtschaftsfreiheit von Art. 27 BV fliessenden Garantie der Gleichbehandlung der direkten Konkurrenten. Diese direkte Konkurrenz zeigt sich in Gestalt von My Leukerbad, die ein zweites Thermalbad in Leukerbad betreibt und ein nach dem Obligationenrecht und dem Walliser Tourismusgesetz inkorporiertes und betriebenes Fremdenverkehrsunternehmen ist, dessen Aktien lange Zeit die Einwohnergemeinde Leukerbad allein gehalten hatte, bevor die Burgergemeinde Leukerbad als weitere Aktionärin hinzutrat. My........
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