In der Sondersession des Nationalrats vom 2. bis 4. Mai wurden 178 parlamentarische Vorstösse erledigt. Dabei gewannen die Sozialdemokraten mit Unterstützung der Grünen und etatistisch geneigter Kreise anderer Parteien wieder erstaunlich oft Mehrheiten für ihre Anträge, mit denen sie ihrem Ziel der «Demokratisierung der Wirtschaft» (Euphemismus für Verstaatlichung) näherkommen.

So befürwortete der Nationalrat, aufgeschreckt durch den Niedergang von Credit Suisse und populistisch motiviert durch die bevorstehenden Wahlen, ein Boniverbot und höhere Eigenkapitalvorschriften für systemrelevante Banken. Und die Finma, die bei CS irgendwie versagt haben soll (wie, weiss niemand), soll neu Bussen verhängen können. Weiter sollen der Kunsthandel dem Geldwäschereigesetz unterstellt, Unternehmen für Lohnungleichheit gebüsst und Lebensmittel mit ihrem CO₂-Fussabdruck etikettiert werden. Die Errichtung einer staatlichen «Green Investment Bank» scheiterte knapp.

Die mutmasslich folgenreichen Vorstösse im Bankwesen kamen im Rat ohne jegliche Analyse der Ursachen des CS-Bankrotts durch. Sind die vorgeschlagenen Massnahmen notwendig und zielführend? Welche Folgen und Nebenwirkungen wären für den Bankenplatz sowie für Wirtschaft und Gesellschaft der Schweiz zu erwarten? Niemand weiss es, schon gar nicht der Nationalrat. Seine «Blindfliegerei» nach dem CS-Fiasko erinnert an den ebenfalls unfundierten Strategiewechsel in der Energiepolitik nach der Havarie von Fukushima anno 2011.

Dieser hat die Schweiz vom Land mit internationalen Stromversorgungsbestnoten in eine Mangellage geführt. In Medien und Politik ist zwar nur die Rede davon, dass der Staat jetzt planend und lenkend auf Erzeugung und Verbrauch von Strom Einfluss nehmen müsse, um drohenden Mangellagen im Winter vorzubeugen. Doch das ist eine Beschönigung. Die energetischen Einschränkungen, die Wirtschaft und Haushalte zur Vermeidung von noch grösseren Einschränkungen oder Blackouts im Winter schon jetzt zu gewärtigen haben, stellen bereits eine Mangellage dar – wir sind in einer Mangellage.

«Die Politik baut ihren Kompetenzkatalog zulasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz stetig aus.»

Warum schaffen es die Linken bei exogenen Störfällen des Typs «CS» oder «Fukushima» immer wieder, die parlamentarischen «Blindflieger» auf ihre staatswirtschaftlichen Landeplätze zu lotsen? Der Hauptgrund für neue Staatsinterventionen in solchen Fällen, aber für zusätzliche Staatsinterventionen, wenn bestehende Regulierungen nicht wie erwünscht wirken, ist systemimmanent: Er liegt darin, dass der Politik letztlich nur das Instrument «Staat» zur Verfügung steht. «Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel», soll Mark Twain gesagt haben.

Der Staat ist ein Bündel von Gesetzen und Institutionen zu deren Vollzug – nötigenfalls mit Gewalt (z.B. Verwaltung, öffentliche Monopole, Polizei, Armee, Gerichte, Gefängnisse). Der Staatskritiker und Gründer der libertären Bewegung in den USA, der Philosoph und Ökonom Murray N. Rothbard, hat den Staat einleuchtend mit drei Arten von Staatstätigkeiten umschrieben, mit Interventionen, der Typen «autistic», «binary» oder «triangular». Heute würde man die ersten beiden wohl als unilaterale bzw. bilaterale Regulierungen bezeichnen, während triangulär für die dritte Art der Intervention oder Regulierung immer noch passt.

Alle Staatsinterventionen betreffen Individuen, natürliche und juristische Personen, die als Wirtschafssubjekte unter sich im Markt in freiwilligen Tauschbeziehungen stehen. Der Staat belegt sie unilateral mit Geboten und Verboten oder beeinflusst ihr Verhalten durch «Anstösse» («nudging», «nanny state»). Er zwingt sie zu bilateralen Transaktionen wie zum Zwangskonsum staatlicher Monopolleistungen, zum Zahlen von Steuern und Abgaben oder subventioniert sie. Aber vor allem greift er mit verschiedensten Instrumenten immer stärker regulierend in die Tauschbeziehungen zwischen den Marktteilnehmern ein – eben triangulär –, indem er deren Eigentumsrechte und Vertragsfreiheiten einschränkt.

Es ist kein Zufall, dass die Interventionsvorschläge aus der nationalrätlichen Sondersession hauptsächlich trianguläre Regulierungen sind. In dieser Kategorie dehnt sich der Staat seit längerem am stärksten aus, besonders weil die davon direkt betroffenen Regulierten in der Regel in einer Minderheit sind und den grössten Teil der Kosten zu tragen haben, ferner aus weiteren regulierungs- und politökonomischen Gründen. Dieses trianguläre Staatswachstum kann mit den üblichen quantitativen Massstäben der Staatstätigkeit nicht richtig abgeschätzt werden.

Eine aktuelle Studie der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse («Vermessenes Staatswachstum», 26. April) rechnet vor, dass alle drei Staatsebenen der Schweiz zusammen seit den 1950er Jahren bis vor der Coronakrise stetig auf eine Fiskalquote (Anteil der Steuern und Abgaben am BIP) von 27% gewachsen sind. Werden die Zwangsbeiträge an Krankenkassen und Pensionskassen mitberücksichtigt, wie in vielen Ländern üblich, dann beträgt aber auch die schweizerische Fiskalquote rund 40% – so viel wie etwa in Deutschland oder Österreich. Bei der Anzahl von Staatsangestellten von Bund, Kantonen und Gemeinden in der engeren Staatsverwaltung, in Staatsbetrieben sowie in staatsnahen Bereichen kommt die Studie auf die enorme Zahl von 950'000 Vollzeitäquivalenten (23% aller Beschäftigten). Der Stellenbestand soll beim Staat in den vergangenen zehn Jahren 13%, die Beschäftigung in der Privatwirtschaft hingegen nur 8% gestiegen sein.

Der grösste Teil dieses Staats- und Staatsbeschäftigtenwachstums ist gewiss auf trianguläre Regulierungen zurückzuführen. Diese führen ausserdem dazu, dass in den regulierten Unternehmen immer grössere Stäbe von Regulierungsfragen absorbiert und immer mehr externe juristische und ökonomische Berater beigezogen werden. Den hohen Löhnen in dieser Regulierungsindustrie aus staatlichen und privaten Spezialisten sowie ihren externen Beratern dürfte kaum ein entsprechender volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüberstehen. Auch die Avenir-Suisse-Studie beklagt die steigende Regulierungsdichte, wenngleich leider ohne Rothbard’sche Unterscheidung. Inzwischen sei etwa die Hälfte der Preise in der Schweiz nicht mehr «das Resultat von Angebot und Nachfrage», sondern massgeblich staatlich mitgestaltet oder direkt kontrolliert. Die Politik baue ihren Kompetenzkatalog zulasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz stetig aus.

Was ist zu tun? Die triangulären Regulierungen können durch Referenden und Schuldenbremsen kaum in Schranken gehalten werden. Sie finden leicht Mehrheiten, weil der grösste Teil ihrer Kosten in den regulierten Märkten anfällt. Sie scheinen dadurch für die Politik fast gratis zu sein – bloss ein paar zusätzliche Staatsangestellte.

Die Studienautoren empfehlen z.B. bessere Regulierungsfolgenabschätzungen, Überprüfung von Regulierungsvorhaben durch unabhängige Expertenkommissionen, neue Regulierungen nur bei Aufgabe alter Regulierungen und andere prüfenswerte Vorschläge. Aber diese werden kaum Wirkung haben, solange sich die Parlamente und die Presse der besonderen Problematik triangulärer Regulierungen nicht bewusst werden. Es besteht sogar eine Gefahr, dass den Staat stärker belastende Regulierungen durch scheinbar «günstigere» trianguläre Regulierungen ersetzt werden.

Fehler gefunden?Jetzt melden.

QOSHE - Gegen die trianguläre Verstaatlichung - Markus Saurer
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Gegen die trianguläre Verstaatlichung

8 12
30.05.2023

In der Sondersession des Nationalrats vom 2. bis 4. Mai wurden 178 parlamentarische Vorstösse erledigt. Dabei gewannen die Sozialdemokraten mit Unterstützung der Grünen und etatistisch geneigter Kreise anderer Parteien wieder erstaunlich oft Mehrheiten für ihre Anträge, mit denen sie ihrem Ziel der «Demokratisierung der Wirtschaft» (Euphemismus für Verstaatlichung) näherkommen.

So befürwortete der Nationalrat, aufgeschreckt durch den Niedergang von Credit Suisse und populistisch motiviert durch die bevorstehenden Wahlen, ein Boniverbot und höhere Eigenkapitalvorschriften für systemrelevante Banken. Und die Finma, die bei CS irgendwie versagt haben soll (wie, weiss niemand), soll neu Bussen verhängen können. Weiter sollen der Kunsthandel dem Geldwäschereigesetz unterstellt, Unternehmen für Lohnungleichheit gebüsst und Lebensmittel mit ihrem CO₂-Fussabdruck etikettiert werden. Die Errichtung einer staatlichen «Green Investment Bank» scheiterte knapp.

Die mutmasslich folgenreichen Vorstösse im Bankwesen kamen im Rat ohne jegliche Analyse der Ursachen des CS-Bankrotts durch. Sind die vorgeschlagenen Massnahmen notwendig und zielführend? Welche Folgen und Nebenwirkungen wären für den Bankenplatz sowie für Wirtschaft und Gesellschaft der Schweiz zu erwarten? Niemand weiss es, schon gar nicht der Nationalrat. Seine «Blindfliegerei» nach dem CS-Fiasko erinnert an den ebenfalls unfundierten Strategiewechsel in der Energiepolitik nach der Havarie von Fukushima anno 2011.

Dieser hat die Schweiz vom Land mit internationalen Stromversorgungsbestnoten in eine Mangellage geführt. In Medien und Politik ist zwar nur die Rede davon, dass der Staat jetzt planend und lenkend auf Erzeugung und Verbrauch von Strom Einfluss nehmen müsse, um drohenden Mangellagen im Winter vorzubeugen. Doch das ist eine Beschönigung. Die energetischen Einschränkungen,........

© Finanz und Wirtschaft


Get it on Google Play