Steuerreformen haben es schwer in der Schweiz. Die beiden letzten Vorlagen zur Stempelsteuer und zur Verrechnungssteuer fanden beim Stimmvolk keine Mehrheit. Die Unternehmenssteuerreform Staf wurde 2019 bloss angenommen, weil man die Vorlage mit einem AHV-Zustupf versüsste.
Über die Zeit gesehen hat die Schweiz jedoch eine erfolgreiche Steuerpolitik verfolgt. Die Einnahmen aus der Gewinnsteuer sind seit Anfang der Neunzigerjahre von 0,6 auf etwa 1,7% des Bruttoinlandprodukts respektive 14 Mrd. Fr. gestiegen, viel stärker als diejenigen der privaten Einkommenssteuern.
Nun wird am 18. Juni erneut über eine Änderung der Unternehmenssteuer abgestimmt. Die Vorlage ist in zweierlei Hinsicht aussergewöhnlich. Es geht nicht um eine Senkung, sondern um eine Erhöhung. Und sie wird der Schweiz von aussen über ein OECD-Projekt zur Besteuerung von Grosskonzernen aufgezwungen.
Einst galt die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, als ein liberaler Think Tank der westlichen Industrieländer. In den vergangenen zwei Jahrzehnten jedoch hat sie sich immer mehr zu einer interventionistischen Organisation gewandelt, die «schädlichen» Steuerwettbewerb über Vereinheitlichung eindämmen will.
«Liberalen, die Föderalismus und Steuerwettbewerb hochhalten, blutet das Herz.»
Vor ein paar Jahren entstand die Idee, Unternehmen der digitalen Welt wie Google und Amazon steuerlich «gerechter» zu erfassen. Da sich das Vorhaben als wesentlich komplizierter herausstellte und die Umsetzung viel länger dauert als gedacht, hat die OECD eine zweite Säule des Projekts entworfen.
Für Konzerne mit mehr als 750 Mio. € Umsatz soll eine Mindeststeuer von 15% gelten, wobei internationale Rechnungslegungsstandards anzuwenden sind. Entwicklungsländern und Niedrigsteuerstandorten wie Irland, Luxemburg und der Schweiz war es immerhin gelungen, den Satz von 21% auf 18 und am Schluss auf 15% (ohne das eine Zeit lang vorgesehene «mindestens») zu drücken.
Betroffen sind hierzulande 200 bis 250 Schweizer Grossunternehmen, dazu kommen 2000 bis 3000 Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne. Nicht tangiert ist dagegen die grosse Mehrheit der mehr als 600'000 Unternehmen in der Schweiz mit niedrigerem Umsatz. Weil die Verfassung steuerliche Gleichbehandlung vorschreibt und daher geändert werden muss, ist eine Volksabstimmung notwendig.
Die Schweiz ist eine kleine, offene und dynamische Volkswirtschaft mit vergleichsweise bescheidenen Steuern. In 18 von 26 Kantonen liegt der Steuersatz unter 15%. Die auf kurze Sicht geschätzten Mehreinnahmen mit der Mindestschwelle schwanken zwischen 1 und 2,5 Mrd. Fr. Von den zusätzlichen Mitteln geht ein Viertel in die Bundeskasse und drei Viertel an die Kantone, davon ein Grossteil an Zug und Basel-Stadt.
Der Vorschlag von SP und Grünen, die Zusatzeinnahmen je zur Hälfte Bund und Kantonen zukommen zu lassen, fand keine Mehrheit im Parlament. Richtig so, die Kantone wissen am besten, wie sie «ihre» Goldesel bei der Stange halten können. Zugunsten ressourcenschwacher Kantone sorgt immerhin der nationale Finanzausgleich für einen gewissen Ausgleich.
Inwieweit über die Zeit dynamische Effekte (Abwanderung oder keine Zuwanderung von Unternehmen) negativ wirken, ist eine offene Frage. Die Antwort hängt massgeblich davon ab, wie Bund und vor allem Kantone die zusätzlichen Mittel investieren und andere Standortfaktoren fördern. Gewiss ist: Aufgrund des internationalen Steuerkartells verliert die Höhe des Gewinnsteuersatzes für Grossunternehmen an Bedeutung. Dadurch könnte das Steuersubstrat in der Schweiz im Trend sinken.
Die Kantone haben sich bislang gescheut, konkrete Pläne zu präsentieren, wie sie die zusätzlichen Gelder einsetzen wollen. Tritt die Mindeststeuer ab 2024 in Kraft, wird die Veranlagung der Unternehmen nach den neuen Regeln erstmals 2026 durchgeführt. Zudem sind die Bemessungsgrundlagen der OECD gar noch nicht im Detail definiert.
Zum Strauss möglicher Massnahmen zur Standortförderung zählen Steuererleichterungen in Forschung und Entwicklung, grössere Kontingente für Fachkräfte, grosszügigere Rahmenbedingungen für Kinderbetreuung, Förderung der Zusammenarbeit mit Hochschulen und administrative Entlastung der Unternehmen. Gerade diese ist nötig: Wie die Kantone werden die betroffenen Unternehmen mit einem riesigen administrativen Zusatzaufwand konfrontiert sein. Oder wie es die Steuerchefin eines multinationalen Schweizer Konzerns an einem Hintergrundgespräch ausdrückte: «C’est un cauchemar à gérer», ein Albtraum, der zu bewältigen ist.
Die OECD hat die Schätzung der globalen Einnahmen von anfänglich 150 auf 220 Mrd. $ erhöht. Die Umsetzung einer solchen weltweiten Steuerreform ist beispiellos, das Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Luzern spricht gar von einer «steuerpolitischen Revolution». Die demokratisch nicht legitimierte Organisation gebärdet sich als Steuerkartell, Hochsteuerländer profitieren, die Schweizer Kantone büssen einen Teil ihrer Steuerhoheit ein. Liberalen, die Föderalismus und Steuerwettbewerb hochhalten, blutet das Herz.
Contre coeur ist gleichwohl ein Ja zur Reform zu empfehlen. Im Projekt ist ein perfider Mechanismus eingebaut. Treibt nicht die Schweiz die Mindeststeuer von 15% ein, tun es andere Staaten bei den Unternehmen. Ein Ja entspricht also reinem Selbstnutzen. Eine Ablehnung der Vorlage an der Urne hätte zudem erhebliche Rechtsunsicherheit für die Konzerne zur Folge, die Planbarkeit würde erschwert.
Den OECD-Beschlüssen kommt keine formale Rechtskraft zu, die Umsetzung geschieht über sogenanntes Soft Law, sprich: Gruppendruck. Ist die Schweiz nicht dabei, läuft sie Gefahr, international «geächtet» zu werden. Das Negativimage einer «Rosinenpickerin» könnte sich verstärken. Die Ansiedlung neuer Unternehmen würde erschwert.
Ein höchst ungutes Gefühl bleibt auch nach einem Ja zurück. Was, wenn die mächtigen Hochsteuerstaaten sehen, dass sie ihren schiefen Haushalt auch mit der Mindeststeuer nicht ins Lot bringen? Es wäre nicht erstaunlich, käme dann ein Satz von 16 oder 17% aufs Tapet, oder die Bemessungsgrundlage würde ausgeweitet.
Verhängnisvoll wäre es auch, würden Kompensationsmassnahmen in der Schweiz in einen volkswirtschaftlich ineffizienten Subventionswettlauf ausufern. Das riesige Subventionsprogramm der EU im Umfang von rund 1500 Mrd. € für Innovation, Industrialisierung und Ökologie für die Jahre 2021 bis 2027 heizt den Kampf um Standortattraktivität in fragwürdiger Weise an. Es richtet mit Sicherheit mehr Schaden an als Steuerwettbewerb.
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