Kolumne | „Was, Sie sind depressiv? Selbst schuld! Arbeiten Sie gefälligst!“

Stellen Sie sich vor, ein Fremder kommt in ihre Wohnung, sieht sich um und sagt zu Ihnen: „Also Sie müssen hier unbedingt aufräumen, der Zustand der Wohnung geht ja gar nicht!“ Dann inspiziert er Ihre Vorräte. „Diese teuren Lebensmittel leisten Sie sich, das ist ja kein Wunder, dass Sie kein Geld haben.“ Und dann: „Sie trinken Wasser aus Flaschen? Leitungswasser muss genügen, Flaschenwasser ist zu teuer, Sie sollten als Armutsbetroffene sparen, wo Sie können!“

Der übergriffige Klassismus von Menschen, die nicht armutsbetroffen sind, ist permanent präsent. Kritisiert werden alle sichtbaren Äußerlichkeiten wie Kleidung, Wohnung, Kaufverhalten und Familiengröße. Der Leistungsgedanke ist bei einigen Menschen so verinnerlicht, dass Menschen, die nicht arbeiten können, für diese ein absolutes Mysterium sind. Da muss es doch eine Schuld geben! Sie schauen genauer hin, suchen nach Gründen, warum Armutsbetroffene selbst schuld sind. Durchleuchten die Vorratskammern. Besonders bei psychischen Erkrankungen als Ursache für Erwerbslosigkeit oder Erwerbsminderungsrente treffen zwei Diskriminierungsformen aufeinander: Klassismus und Ableismus.

Ableismus bezieht sich auf die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen oder eingeschränkten Fähigkeiten.........

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