Herr Martin, erzählen Sie bitte von Ihrer letzten Reise.

Zuletzt war ich auf der Inselgruppe Spitzbergen, um Polarbären zu fotografieren. Sieben Tage lang herrschte schlechtes Wetter, wir sichteten keinen einzigen Bären, Frust kam auf. Am letzten Tag der Expedition haben wir dann aber einen fantastischen Eisbären entdeckt, den wir den ganzen Tag über beobachten und sensationelle Bilder einfangen konnten. Diese Destination steuere ich auch bei meiner nächsten Reise im April wieder an, um den arktischen Winter erneut zu erleben.

Packen Sie Ihre Reisetasche zwischendurch eigentlich auch aus?

Kleidung und Ausrüstung habe ich immer griffbereit im Keller liegen, ebenso meine Kamera. Ich bereite eigentlich nur die An- und Abreise vor und ein eventuelles Visum. Ich finde es einfach gut, wenn eine Reise nicht komplett durchgetaktet ist. In der Regel weiß ich am Morgen nicht, wo ich am Abend schlafe. Ich bin unterwegs, um Menschen zu treffen oder bestimmte Lichtstimmungen zu erleben. Da können Sie nichts nach einem festen Fahrplan machen, da müssen Sie flexibel bleiben.

Ist genau das der größte Reiz für Sie beim Reisen?

Es ist eher die Jagd nach guten Fotos, gutem Licht, interessanten Begegnungen mit Menschen und Tieren. Ich kann in der Mongolei nicht sagen, ob ich irgendwo auf Jurten stoße, Wildkamele sehe oder einen Adlerjäger treffe. Das muss sich ergeben. Insofern bin ich auch nie mit Freunden, Bekannten oder womöglich zahlenden Begleitungen unterwegs, da sie einen anderen Fokus hätten als ich.

Empfehlen Sie, für spannende Reiseerzählungen lieber allein zu reisen?

Ganz allein zu reisen, ist schwierig, weil man dadurch keine Bilder von sich selbst erhält und auch nicht von Reisepartnern, ohne die ein Reisebericht nur schwer auskommt. Häufig begleitet mich ein Arbeitskollege oder meine Frau, beide wissen, um was es mir geht. Ich würde aber nie mit einer größeren Reisegruppe als drei Personen unterwegs sein, weil sonst zu viele Meinungen im Spiel sind und man häufig dazu neigt, über Probleme zu Hause zu sprechen oder politische Diskussionen zu führen. Dadurch gerät, aus meiner Sicht, der Blick für das Land und die Kultur in den Hintergrund.

•gestern

21.04.2024

21.04.2024

Welchen Blick nehmen Sie beim Fotografieren auf Reisen ein?

Wenn es um Landschaften geht, ist es eine Frage des Lichts. An einem Wintermorgen in einer Wüste habe ich besseres Licht als an einem Sommermittag, wo es bleiern ist und vielleicht noch Sandstaub in der Luft liegt. Geht es um Menschen, kommt es vor allem darauf an, wie man selbst als Fotograf auftritt. Man sollte beispielsweise ohne Sonnenbrille fotografieren oder nicht mit einem Motorrad ganz nah vor eine Jurte fahren und die Linse auf die Bewohner richten. Wichtig ist, dass man Vertrauen aufbaut. Das geht am besten über ein Lächeln oder die Sprache, wenn man sie denn spricht. Oder man ist in Begleitung eines lokalen Guides, der diese Brücke bauen kann.

Nun kann nicht jeder Mensch von solchen Expeditionen wie die Ihren erzählen. Wie bekommt der alljährliche Sommerurlaub eine spannende Aufwertung?

Es wird immer dann spannend, wenn man sich fortbewegt. Drei Wochen auf demselben Campingplatz in Kroatien – das ist fotografisch eine Herausforderung. Ich schlafe kaum eine zweite Nacht am selben Ort. Man sollte die Tagesrandzeiten nutzen, also die Stunde vor und nach Sonnenaufgang und abends jene vor und nach Sonnenuntergang. Natürlich sollte man sich vor Urlaubsantritt ein wenig mit der Kultur des Landes befassen. Dann hat man vielleicht eine Liste erstellt, auf der 10-15 Stationen stehen, die man ansteuern möchte. Das ist okay. Nur würde ich offenlassen, in welcher Reihenfolge und an welchen Tagen man diese Stationen angeht. Leider sind viele Reisende so sicherheitsbewusst und unflexibel, dass sie sich darauf nicht wirklich einlassen können und lieber alles durchbuchen.

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Was sollte man unterwegs alles dokumentieren?

Die Kamera sollte zum Reisetagebuch werden. Man sollte sämtliche interessanten Dinge oder Momente fotografieren. Nicht nur die Strandpromenade oder die gotische Kirche, sondern auch Skurrilitäten oder Pannen sollte man festhalten. Man kann den charismatischen Eisverkäufer fotografieren, aber wenn der Tochter die Kugel Eis in den Sand fällt, sollte man das auch fotografieren. Oder wenn man bei der Hinreise eine Reifenpanne auf der Autobahn hat oder bei der späteren Ankunft im Hotelzimmer eine Kakerlake in der Dusche krabbelt. Es geht darum, einen Reisebericht zu liefern und keine Länderbeschreibung. Die ganz persönlichen Erlebnisse sind die Momente, die einen Urlaub lebendig machen.

Und wenn ich dann wieder zu Hause bin und Freunden von der Reise erzähle: Wie erzeuge ich da Aufmerksamkeit?

Seien Sie in erster Linie ehrlich, selbstironisch und witzig. Stehen Sie vom Sofa auf und stellen sich neben einen Bildschirm. Dadurch schaffen Sie eine Bühnensituation. Wenn Sie den Raum zusätzlich abdunkeln, fördert das die Konzentration bei den Zuschauern und schafft Kontraste auf dem Bild. Hat man beispielsweise einen Urlaub in Mexiko verbracht, können Sie mexikanisches Essen servieren. Waren Sie in Chile, servieren Sie vielleicht einen Pisco Sour und legen chilenische Musik im Hintergrund auf. Das schafft eine gebührende Atmosphäre.

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Reisen nach Mexiko oder Chile beispielsweise sind als Fernreisen zu bewerten. Haben Sie bei über 300 Reisen mal Ihren ökologischen Fußabdruck berechnet?

Der ist nicht gut, darüber mache ich mir natürlich Gedanken. Es gibt keine gute Antwort darauf. Ich kann nur sagen, dass ich, so häufig es geht, Reiseziele kombiniere, keine Inlandsflüge mache, viel mit der Bahn unterwegs bin und ansonsten mit einem Elektroauto fahre. Das Reisen ist mein Beruf, persönlich würde ich keine Fernreise nur aus Spaß machen. Wenn ich privat Urlaub mache, gehe ich mit meiner Frau wandern. Tourismus hat aber auch seine guten Seiten, besonders in wirtschaftlich schwächeren Ländern trägt er zu mehr finanzieller Stabilität bei.

Kann man die Welt nur verstehen, wenn man reist?

Reisen hat sicherlich etwas zu tun mit Kulturverständnis und Toleranz. Mancher AfD-Wähler würde sich seine Stimme vielleicht nochmal überlegen, wenn er mal eine Erfahrung im Ausland gemacht hätte. Reisen lohnt sich immer. Daheim zu bleiben, ist einfach keine Alternative.

QOSHE - Abenteurer Michael Martin: „Daheim zu bleiben, ist einfach keine Alternative“ - Robin Schmidt
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Abenteurer Michael Martin: „Daheim zu bleiben, ist einfach keine Alternative“

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23.04.2024

Herr Martin, erzählen Sie bitte von Ihrer letzten Reise.

Zuletzt war ich auf der Inselgruppe Spitzbergen, um Polarbären zu fotografieren. Sieben Tage lang herrschte schlechtes Wetter, wir sichteten keinen einzigen Bären, Frust kam auf. Am letzten Tag der Expedition haben wir dann aber einen fantastischen Eisbären entdeckt, den wir den ganzen Tag über beobachten und sensationelle Bilder einfangen konnten. Diese Destination steuere ich auch bei meiner nächsten Reise im April wieder an, um den arktischen Winter erneut zu erleben.

Packen Sie Ihre Reisetasche zwischendurch eigentlich auch aus?

Kleidung und Ausrüstung habe ich immer griffbereit im Keller liegen, ebenso meine Kamera. Ich bereite eigentlich nur die An- und Abreise vor und ein eventuelles Visum. Ich finde es einfach gut, wenn eine Reise nicht komplett durchgetaktet ist. In der Regel weiß ich am Morgen nicht, wo ich am Abend schlafe. Ich bin unterwegs, um Menschen zu treffen oder bestimmte Lichtstimmungen zu erleben. Da können Sie nichts nach einem festen Fahrplan machen, da müssen Sie flexibel bleiben.

Ist genau das der größte Reiz für Sie beim Reisen?

Es ist eher die Jagd nach guten Fotos, gutem Licht, interessanten Begegnungen mit Menschen und Tieren. Ich kann in der Mongolei nicht sagen, ob ich irgendwo auf Jurten stoße, Wildkamele sehe oder einen Adlerjäger treffe. Das muss sich ergeben. Insofern bin ich auch nie mit Freunden, Bekannten oder womöglich zahlenden Begleitungen unterwegs, da sie einen anderen Fokus hätten als ich.

Empfehlen Sie, für spannende Reiseerzählungen lieber allein zu reisen?

Ganz allein zu reisen, ist........

© Berliner Zeitung


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