Die Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker waren immer bedeutende Wagner-Dirigenten, ohne dass sie alle explizit als solche galten. Als Leiter eines Symphonieorchesters betrieben sie keine Monokultur, sondern betrachteten Wagner im Kontext des gesamten Repertoires. Abbado und Rattle waren, anders als Furtwängler und Karajan, nie in Bayreuth, dennoch gelangen ihnen Aufführungen, die interessanter waren als das meiste, was musikalisch bei den Wagner-Festspielen geboten wurde. Kirill Petrenko wurde 2013 für seinen „Ring“ in Bayreuth gefeiert, kehrte aber nie dorthin zurück. Am Freitag in der Philharmonie, dem ersten Durchgang des Silvesterprogramms, waren die Stärken von Petrenkos Wagner zu erleben.

In der Pariser Fassung des „Tannhäuser“-Beginns gibt der weittragende Atem des Pilgerchors der Musik bis ins Getümmel des Venusberg-Bacchanals das Maß vor. Umso mitreißender, wie Petrenko die ekstatischen Wellen sich zunehmend überschlagen lässt, bis im erschöpften Ausklang über langen Orgelpunkten die Zeit überwunden scheint zugunsten eines unendlichen Klangs.

Die „Tannhäuser“-Musik kennt wie die Titelfigur nur die Extreme des Sakralen und des Wollüstigen. Aber Petrenko schafft mit den weichen Bläsern des Pilgerchors und den stufenlos vom Seidigen zum Heftigen reichenden Venusberg-Melodien ein Kontinuum klanglicher Sinnlichkeit, das die Sphären miteinander vermittelt.

Hummer, House oder doch ein Blick in die Sterne? Die besten Events zu Silvester in Berlin

vor 1 Std.

Ein Remix vergreift sich an „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und geht viral

26.12.2023

27.12.2023

gestern

gestern

28.12.2023

27.12.2023

Ganz anders setzt der erste Aufzug der „Walküre“ an: Heftiger Realismus in der Gewitter-Musik des Vorspiels, im Rhythmus des Hunding-Motivs in den Tuben, dagegen die von Hoffnungen und Sehnsüchten getragene Musik, die sich zwischen Siegmund und Sieglinde entwickelt. Aus diesem Kontrast, der auch einer von verfestigten Formeln und quasi improvisierter Entfaltung ist, entwickelt Petrenko souverän die Dramaturgie dieses Aufzugs bis zum heftigen Triebausbruch des Nachspiels.

Als Star des Abends war Jonas Kaufmann angekündigt, der den Siegmund auch mit beeindruckendem sängerischen Kalkül verkörperte. Die baritonale Fundierung seines Tenors ist klanglich so kostbar wie stilecht. Dennoch wirkte er im Zusammenhang mit seinen Mitstreitern ein wenig farbarm, sein „Wälse“-Ruf kraftvoll, aber eben auch nur eindrucksvoll gesungen statt verkörpert. Georg Zeppenfeld war kein schwarzer Hunding, aber beeindruckte als schlauer, mal verführerischer, mal eiskalter Psychopath, bedrohlich nicht durch Dumpfheit, sondern Unberechenbarkeit. Und Vida Miknevičiūte sang die Sieglinde nicht nur glasklar und textverständlich, sondern auch mit zauberhafter Intimität und Dringlichkeit – ihr „So bleibe hier, nicht bringst du Unheil dorthin, wo Unheil im Hause wohnt“ in der ersten Szene war eine erschütternde Mischung aus Angst, Liebe und Sorge.

Ein in seiner Brillanz und Geschwindigkeit atemberaubendes Vorspiel zum dritten „Lohengrin“-Akt gaben Dirigent und Orchester als Feuerwerk noch obendrauf.

QOSHE - Silvester in der Berliner Philharmonie: Kontinuum klanglicher Sinnlichkeit - Peter Uehling
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Silvester in der Berliner Philharmonie: Kontinuum klanglicher Sinnlichkeit

9 8
30.12.2023

Die Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker waren immer bedeutende Wagner-Dirigenten, ohne dass sie alle explizit als solche galten. Als Leiter eines Symphonieorchesters betrieben sie keine Monokultur, sondern betrachteten Wagner im Kontext des gesamten Repertoires. Abbado und Rattle waren, anders als Furtwängler und Karajan, nie in Bayreuth, dennoch gelangen ihnen Aufführungen, die interessanter waren als das meiste, was musikalisch bei den Wagner-Festspielen geboten wurde. Kirill Petrenko wurde 2013 für seinen „Ring“ in Bayreuth gefeiert, kehrte aber nie dorthin zurück. Am Freitag in der Philharmonie, dem ersten Durchgang des Silvesterprogramms, waren die Stärken von Petrenkos Wagner zu erleben.

In der Pariser Fassung des „Tannhäuser“-Beginns gibt der weittragende........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play