Leichter Schneefall, minus neun Grad, vor einer Stunde ist in Sachsen angeblich die Sonne aufgegangen. An der Autobahnauffahrt Chemnitz-Süd blockiert ein Fendt 724 die Straße. „Deutschlands beliebtester Traktor 2022“ wiegt knapp acht Tonnen, in den Tank passen 400 Liter steuerbegünstigter Agrardiesel. An der Fahrerkabine hängt ein Transparent: „Politischer Mist düngt nicht.“ Wahrscheinlich eine alte Protestbauernweisheit.

Am Traktordach flattern zwei sächsische Landesfahnen im Wind: oben weiß, unten grün, in der Mitte ein gelb und schwarz gestreifter Schild, von links oben nach rechts verläuft ein grüner Rautenkranz. Auf den flüchtigen Blick könnten das die Fahnen der sogenannten Freien Sachsen sein.

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Die Kleinstpartei vereint Neonazis, populistische Schwätzer und Rassisten, Corona-Leugner, Reichsbürger und Umsturzideologen, gemeinsam organisieren sie Montagsspaziergänge und Demonstrationen gegen Flüchtlingsheime in Sachsen. Auf ihren weiß-grünen Fahnen – „Perfekt für den Garten, den nächsten Straßenprotest, oder um bei anderen Anlässen Flagge zu zeigen!“ – prangt in der Mitte das Wappen des sächsischen Königreichs, nach dem sie sich zurücksehnen. Demokratie? Ist für die „Freien Sachsen“ ein notwendiges Übel. Sie wollen den „Säxit“. Deutschland? Ohnehin kein souveräner Staat.

08.01.2024

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•vor 8 Std.

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Dieser Montag, der Beginn der bundesweiten Bauernproteste, war ihr „Tag des Widerstands“. Auf Telegram schrieben die „Freien Sachsen“: „Überall im Land geht es heute auf die Straßen, das ist erst der Anfang!“ In ihrem Podcast hieß es: „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten kämpfen Bauern und Arbeiter Seite an Seite gegen staatliche Willkür und die Ausbeutung der Bevölkerung.“

Ihre Fahnen waren am Montag und Dienstag überall zu sehen in Sachsen: beim „Widerstandswahnsinn“ vor dem „Widerstandscamp“ auf dem Schloßplatz in Dresden, beim „Widerstandskonvoi“ im Erzgebirge, vor dem Karl-Marx-Monument in Chemnitz, wo sich die Parteizentrale befindet. Als Anfang des Jahres die Flutwelle kam und das Gebäude unter Wasser zu setzten drohte, waren sofort genug Unterstützer mit Sandsäcken zur Stelle.

Sind 99 Cent ein angemessener Preis für 500 Gramm Romatomaten?

Wer Beweise dafür sucht, dass die Bauernproteste von rechts missbraucht werden, findet sie in Sachsen, wo laut Umfragen ein Drittel der Bevölkerung die hier vom Landesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte AfD wählen würde bei der kommenden Landtagswahl im September. Aber nicht überall ist das so. Nein, sagen die Bauern an der Autobahnauffahrt Chemnitz-Süd. Mit diesen Leuten wollen sie nichts zu tun haben. „Die Ampel schalten wir schon alleine aus.“ Die aktuellen Regierungsparteien kommen auf elf Prozent in Sachsen. Alle drei zusammen.

Zu den Bauernprotesten kann man stehen, wie man will. Man kann von Treckerterroristen sprechen und kein Verständnis aufbringen für eine Branche, der es besser geht als vielen anderen, die nicht milliardenschwer subventioniert werden. Man kann auf eine seit Jahrzehnten verfehlte Agrarpolitik verweisen, die nur den großen Betrieben nützt, während das Höfesterben weitergeht. Man kann die Monopolstellungen im Einzelhandel und in der Lebensmittelindustrie beklagen. Man kann sich selbst fragen, ob 99 Cent ein angemessener Preis für eine 500-Gramm-Schale Romatomaten sind und ob man Landwirte grundsätzlich zu gering schätzt, für das, was sie leisten.

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Und man kann natürlich, als hätte es niemals eine andere Regierung gegeben, der Ampelkoalition die Schuld geben. An allem. Aus guten Gründen. Aus Prinzip, Frust, German Angst. Aus einer neuen Lust am Untergang. Oder eben am Systemsturz.

Der Vorsitzende der im ersten Corona-Winter vor drei Jahren gegründeten „Freien Sachsen“ heißt Martin Kohlmann, 46, ein hagerer Typ mit Glatze, Bart, er ist Chef einer sechsköpfigen Rechtsaußenfraktion im Chemnitzer Stadtrat. Ein Rechtsanwalt, der die Ämter regelmäßig mit Anfragen nervt, etwa: „Welche Vorkehrungen trifft das Rathaus, damit sich Stadträte nicht aus Protest am Rednerpult festkleben können?“ Und der noch jeden Rentner in der Region verteidigt, dem nur versehentlich ein Hakenkreuz in den Schwibbogen gerutscht ist.

Am Montagmorgen hat der Anwalt Kohlmann einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Chemnitz gekippt, nachdem er vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht gegen das Demonstrationsrecht im Erzgebirgskreis geklagt hatte. Am Nachmittag nahm er als „Widerstandskämpfer“ an einem Protestmarsch durch die Chemnitzer Innenstadt teil. Zu sehen waren dabei mehr Russlandfahnen als Traktoren. Für Kohlmann ist nicht Putin, sondern die deutsche Regierung ein Kriegstreiber.

Am vergangenen Samstagabend, beim Neujahresempfang seiner Partei, hielt der Parteichef Kohlmann eine Rede, zur Begrüßung sagte er: „Nach Asylprotesten, Coronaprotesten, Energieprotesten, Antikriegsprotesten könnte es mal etwas ruhig sein, aber nein, jetzt kommen die Bauernproteste.“ Zwei Drittel aller rechtsextremen Demonstrationen bundesweit fanden 2023 in Sachsen statt. Für Kohlmann sind das „regierungskritische Demonstrationen“. Ein Grund, stolz zu sein.

Um die einhundert Menschen waren in die Gaststätte Goldner Hirsch nach Bernsdorf gekommen, 2000 Einwohner, etwa auf halber Strecke zwischen Chemnitz und Zwickau gelegen. An der Ortspyramide rechts, dann Treppen runter und durch holzvertäfelte Räume in den großen Saal, wo man „lebhafte Faschingsveranstaltungen“ und „feuchtfröhliche Ü-30-Partys“ feiern kann. Dazu werden „kulinarische Köstlichkeiten aus Großmutters Zeiten“ gereicht, garniert mit „ein wenig Nostalgie in der Moderne“.

An vier langen Tafeln saßen mehr Männer als Frauen zusammen, eher Alte als Junge, „Säxit“-Shirts, „Zwöni“ vom Fass, die Rindsroulade mit Klößen und Rotkohl für 19,90 Euro, erzgebirgische Volksmusik umsonst. Zum „Steigerlied“ standen einige auf und klatschten, andere schunkelten sich in Heimatstimmung.

Den Abend eröffnete der aus Dortmund nach Chemnitz geflüchtete Neonazi Michael Brück, Szenegröße, Strippenzieher, ehemaliger Betreiber eines unter antisem.it erreichbaren Onlineshops, seit Ende 2020 arbeitet er in Kohlmanns Kanzlei. In Brücks Namen, mit „sächsischen Grüßen“ und seiner Handynummer werden zurzeit Briefe verschickt, denn die „Freien Sachsen“ brauchen „Unterstützungsunterschriften für die Landtagswahlen“, „um die längst notwendige Veränderung anzustoßen“. Brück sagte: „Das Schöne ist, mit jeder Krise wachen neue Leute auf.“ Und: „Es geht hier nicht um irgendwelche Kleinigkeiten oder, keine Ahnung, ob Agrardiesel subventioniert wird, um all diese kleinen kosmetischen Korrekturen, es geht hier ums Große und Ganze.“ Allgemeines Nicken.

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Anschließend sprach „der freiheitliche Aktivist Wolfgang Schmidl“, ein Rentner aus dem Erzgebirge, der bei seinen Hasstiraden gerne Goebbels imitiert und bei einer Veranstaltung in Dresden sagte: „Wir führen den totalen Krieg gegen das eigene Volk.“ Diesmal bekam er Applaus dafür: „Wir alle – du, du und du – bezahlen die Zähne, Entbindungen und Facharzttermine von Menschen aus Afrika, Afghanistan, Syrien und sonst woher.“

Dann trat Stefan Hartung ans Mikrofon, NPD-Kader aus Aue-Bad Schlema, die Nummer zwei der „Freien Sachsen“ und laut Verfassungsschutz eine zentrale Person der rechtsextremistischen Szene im Erzgebirge. Seine Rede begann mit einer „Bilderbuchkopftuchfamilie“, die er während der Fahrt zum Neujahrstreffen vor einem Supermarkt beobachtet haben will: „Wie sie für ein Selfie posierten“, „wie sie mit unseren Steuergeldern auf Einkaufstour gewesen sind“, „das wird natürlich gleich in die Heimat geschickt werden, natürlich verbunden mit der Botschaft: Kommt her, kauft ein, hier kriegt ihr das Geld von den blöden Deutschen jeden Monat pünktlich überwiesen.“ Danach wieder Volksmusik.

Kohlmann ist ein weniger plumper Redner als Hartung, wegen Volksverhetzung ist er trotzdem zweimal verurteilt worden. In der Gaststätte Goldner Hirsch wagte er einen Witz: „Manchmal werden wir ja gefragt, ihr wartet ja nur drauf, dass ihr die nächste Protestwelle mitnehmen könnt, aber es ist nicht so, wir lassen auch manche aus. An die Klimaproteste haben wir uns zum Beispiel nicht drangeklebt.“ Das einzige Kind, ein Junge im Vorschulalter, schreckte kurz auf bei dem Gejohle im Saal.

Vor allem in Dresden ist den „Freien Sachsen“ das gelungen, was Kohlmann in seiner Neujahrsansprache als „Kooperationen“ bezeichnete. Auf dem Schloßplatz trat – wie schon bei den Coronaprotesten – die Szene geschlossen auf. In der ersten Reihe marschierte Andreas Kalbitz, einst Chef der AfD in Brandenburg, die er wegen einer Mitgliedschaft in einer Neonazivereinigung verlassen musste. Angereist war auch Martin Sellner, der jahrelang die rechtsextremen Identitären in Österreich anführte und die gekaperten Bauernproteste einen „deutschen Maidan“ nannte.

Für den passenden Soundtrack im „Widerstandscamp“ sorgte der Liedermacher Kavalier, Teil des rechtsextremistischen Musiklabels NDS Records. Seine Songs heißen „Heimat in Flammen“ oder einfach nur „Deutschland“ und darin singt Kavalier: „Die Zukunft gehört uns allein, hören wir die Menschen auf den Straßen immer lauter schreien.“ So laut vielleicht, wie auf der Rednerbühne am Schlossplatz, vor dem Banner „Bauernaufstand Ehrensache“, als einer den „Systemwechsel“ forderte. Oder ein anderer sagte: „Berlin muss gesäubert werden von diesem links-grünen Gesindel.“ Oder beim Versuch, eine Polizeikette zu durchbrechen.

Die „Freien Sachsen“ haben ihr Ziel erreicht. Sie haben Demonstrationen angemeldet, ihren Hass auf die Straße gebracht und als Bauernproteste getarnt. Tausende sind ihnen am Montag gefolgt, einige blieben über Nacht, machten am Dienstag weiter. Den ersten „Tag des Widerstands“ kommentierte die Partei so auf Telegram: „Es ist uns gelungen, den Protest der Bauern mit massenhaften Protesten des übrigen Volkes – vor allem aus dem Mittelstand – zu verbinden. Und das muss erst der Anfang sein: Gemeinsam wollen wir diese Regierung abwickeln und unser Land von unten nach oben neu errichten.“

Für alle Gastronomen, die zurzeit überlegen, gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf die Straße zu gehen, noch ein Warnhinweis. „Wir hätten auch gerne die Gastwirteproteste unterstützt“, sagte Martin Kohlmann, als der Säxit-Zwöni-Rindsrouladen-Abend sich allmählich dem Ende näherte, „aber es sind keine da, die wir unterstützen könnten.“

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Rechtsextreme an der Spitze der Bauernproteste in Sachsen: „Das ist erst der Anfang!“

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© Berliner Zeitung


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