Die Risse im Bild, das die Deutschen von Angela Merkel haben, werden mit jedem Tag größer. Es begann mit dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 und geht seitdem Schlag auf Schlag. Egal ob Sicherheitsarchitektur im Osten, die damit verwobene Energieversorgung, die Migrationspolitik oder die Deutsche Bahn: Knapp anderthalb Jahre nach Merkels Abschied zeigt sich, wie viele unangenehme Probleme, die unpopuläre Entscheidungen verlangt hätten, in 16 Jahren vertagt oder verdeckt wurden. Es waren gute Jahre, ja. Aber sie wurden mit einer Hypothek auf die Zukunft erkauft.

Kein Wunder, dass Robert Habeck wegen des Heizungsaustausches kommendes Jahr so viel Wut entgegenschlägt. Plötzlich müssen Vereinbarungen, die unter Merkel getroffen, aber nie in Angriff genommen wurden, in Windeseile erfüllt werden.

In dieser Phase der Neubewertung ihres politischen Erbes verlieh der Bundespräsident am vergangenen Montag Merkel noch rasch den höchsten Orden dieses Landes: das Bundesverdienstkreuz in der Sonderstufe des Großkreuzes. Nicht, dass die Stimmung ganz kippt.

Doch die SPD, deren kommissarischer Vorsitzender Steinmeier war, ist nicht naiv. Die Genossen wissen, welche Sprengkraft Frau Merkel für die CDU hat. Denn Merkel gibt seit dem Ende ihrer Amtszeit nichts mehr auf ihre Partei. Ehrenvorsitzende wollte sie nicht werden, Einladungen zum Abendessen mit ihrem Nachfolger sagt sie ab, auf Parteitagen erscheint sie nicht und tritt lieber mit Gewerkschaftsfunktionären auf. Dass Merkel zur Ordensverleihung keine amtierenden CDU-Spitzen einlud, zeigt das noch einmal deutlich.

Nicht dass Missverständnisse aufkommen: Angela Merkel ist eine geniale Machtpolitikerin. Wie hätte sie sich sonst ohne Netzwerke als ostdeutsche Frau bis an die Spitze der CDU und dann an die Spitze des Landes kämpfen können? Doch der persönliche Erfolg einer außergewöhnlichen Frau muss nicht der Nutzen eines Landes sein.

Interessanterweise gehörte ihre Karriere selbst zu Steinmeiers zentralen Begründungen für die Ehrung. Die einzigen anderen Träger des Ordens, Adenauer und Kohl, erhielten ihn für Wiederaufbau und Westbindung beziehungsweise für Wiedervereinigung und Verdienste um die EU. Steinmeier sagte, er freue sich, Merkel zu ehren „für ihre außergewöhnlich lange Amtszeit, für ihren außergewöhnlichen politischen Lebensweg, auf dem sie die Erfahrung in der Diktatur so überzeugend“ eingesetzt habe für die Stärkung der Demokratie.

Mit welchen Mitteln und zu welchem Preis Merkel diese 16 Jahre an der Macht blieb, zeigte sich zwei Tage vor der Verleihung um Mitternacht. Da wurden die letzten drei deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Es ist müßig zu wiederholen, wie falsch die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt ist. Der britische Publizist George Monbiot hat es auf den Punkt gebracht: „Deutschlands Atomausstieg ist wie der Brexit: ein Akt unnötiger Selbstverletzung, getrieben von Falschinformationen und unsinniger Zuschreibung von Verantwortung.“

So verblendet die Grünen bei ihrem Beharren auf den Ausstieg sein mögen: Jeder, der sie gewählt hat, wusste, was sie wollten. Merkel und die CDU wurden für das Gegenteil gewählt, für den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Solange der niemanden störte, setzte Merkel ihn auch um. Doch als am 11. Februar 2011 ein Tsunami das AKW Fukushima zerstörte, brach sie angesichts mieser Umfragen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg ihr Wahlversprechen.

Merkel hätte sich am nächsten Tag als Physikerin und Politikerin hinstellen können und sagen, was sie wirklich denkt. So, wie sie es zum Beispiel in ihrem ersten Schlagabtausch mit Kanzler Schröder im Jahr 2000 tat. Damals erklärte die Oppositionsführerin Merkel: Der Atomkonsens sei eine Vereinbarung zu Lasten des Klimaschutzes, des technischen Fortschritts, und er stehe in einer „langen Liste von Dingen“, die Schröder nicht zu Ende gedacht habe.

Manche nennen das unideologisch, aber man kann auch von fehlenden Überzeugungen sprechen. Am Ende muss man fragen, wieso Merkel als beliebteste Politikerin Deutschlands und spätere „Anführerin der freien Welt“ sich nicht viel stärker bei den wirklich unangenehmen Themen positioniert hat. Wer sonst hätte Menschen überzeugen können? Oder war Merkel vor allem so beliebt, weil sie genau das nicht tat?

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QOSHE - Höchste Ehrung für Merkel: Ein Orden, um die CDU zu spalten - Moritz Eichhorn
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Höchste Ehrung für Merkel: Ein Orden, um die CDU zu spalten

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05.05.2023

Die Risse im Bild, das die Deutschen von Angela Merkel haben, werden mit jedem Tag größer. Es begann mit dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 und geht seitdem Schlag auf Schlag. Egal ob Sicherheitsarchitektur im Osten, die damit verwobene Energieversorgung, die Migrationspolitik oder die Deutsche Bahn: Knapp anderthalb Jahre nach Merkels Abschied zeigt sich, wie viele unangenehme Probleme, die unpopuläre Entscheidungen verlangt hätten, in 16 Jahren vertagt oder verdeckt wurden. Es waren gute Jahre, ja. Aber sie wurden mit einer Hypothek auf die Zukunft erkauft.

Kein Wunder, dass Robert Habeck wegen des Heizungsaustausches kommendes Jahr so viel Wut entgegenschlägt. Plötzlich müssen Vereinbarungen, die unter Merkel getroffen, aber nie in Angriff genommen wurden, in Windeseile erfüllt werden.

In dieser Phase der Neubewertung ihres politischen Erbes verlieh der Bundespräsident am vergangenen Montag Merkel noch rasch den höchsten Orden dieses Landes: das Bundesverdienstkreuz in der Sonderstufe des Großkreuzes. Nicht, dass die Stimmung ganz kippt.

Doch die SPD, deren........

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