„Standort: Kriegsverlust“: Polen und Deutschland streiten über Bücher

Eigentlich wollte sie „über das 18. Jahrhundert forschen“, war aber „zunächst mit den totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts konfrontiert, samt Millionen von Opfern, zerstörten Städten und in alle Winde verstreuten Büchersammlungen“. So beschreibt die aus der Schweiz stammende Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Vanessa de Senarclens ihre ganz praktischen Erfahrungen mit den Berliner Bibliotheken.

Bücher sind oft nicht dort vorhanden, wo man sie vermutet, viele sind immer noch mit „Standort: Kriegsverlust“ gekennzeichnet, es gibt leere Karteikarten. Kataloge mussten immer wieder neu angelegt werden, je nachdem, wie die politischen Wirren es gerade notwendig oder opportun erschienen ließen. Sisyphos sei ein glücklicher Mann gewesen im Vergleich, schreibt die am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität Berlin lehrende Senarclens.

Sie hat die vielen Dilemmata, denen man als Forscherin begegnet, in einem Beitrag für einen Sammelband analysiert, den sie auch herausgegeben hat. Das Buch trägt den Titel „Bücher und ihre Wege. Bibliomigration zwischen Deutschland und Polen seit 1939“ und versammelt 17 Beiträge von polnischen und deutschen Forschern.

Alle Autoren berichten in ihren Artikeln von mannigfachen Schwierigkeiten, die sich aus den Verwüstungen des 20. Jahrhunderts ergeben haben. Ausgelöst wurde die „Katastrophe, die in der Geschichte der Bibliotheken und in der Geschichte der Wissenschaften keinen Vergleich kennt“, wie der Bibliothekar und Nazi-Gegner Georg Leyh 1947 schrieb, von der einzigartigen Zerstörungswut der Deutschen im Zuge........

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