Oskar Lafontaine im Interview: „Politik und Medien wirken, als hätten sie den Verstand verloren“

Oskar Lafontaine wartet im Café Jobst in Merzig, einer kleinen Stadt im Saarland, wo er mit seiner Frau, der BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht, lebt. Auf der Karte stehen Melonenschorle, Aperol Spritz und Sex-on-the-Beach-Cocktail. Er bestellt Cappuccino und lacht über die Frage, ob er Zeit habe: Wir würden schon merken, wenn ihm unsere Fragen auf die Nerven gingen, sagt er.

Lafontaine ist 81 und wirkt so streitlustig, als wäre er nicht im Ruhestand, sondern immer noch Oppositionsführer. Manchmal sieht er auf sein Handy, auf dem Nachrichten eintreffen. Aus Berlin, von seiner Frau.

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•gestern

Herr Lafontaine, dieses Café ist nach Randolf Jobst benannt, einem Mann, der mit Ihnen und dem BSW gebrochen hat, obwohl er ein Wegbegleiter von Ihnen war.

Wegbegleiter ist leicht übertrieben.

Was war er dann?

Ich war ab und zu mal im Café.

Er sagt, er sei aus dem BSW ausgetreten, weil er keine Antwort darauf bekommen habe, ob die Partei mit der AfD zusammenarbeitet.

Es gab unterschiedliche Auffassungen über die Frage, wie man AfD-Anträge in Gemeinderäten behandelt.

Und was ist Ihre Position?

Ich bin für eine sachliche Auseinandersetzung. Die AfD ist für weitere Aufrüstung und hat der Nato-Erweiterung zugestimmt. Das sind gravierende Differenzen zu uns. Einigkeit gibt es über die Notwendigkeit von Friedensverhandlungen in der Ukraine. Darin sind wir uns auch mit den Spitzenkandidaten der Parteien einig, mit denen wir jetzt über eine Koalition verhandeln, wie der Beitrag der beiden ostdeutschen Ministerpräsidenten in der FAZ gezeigt hat, den sie gemeinsam mit dem Thüringer CDU-Chef verfasst haben.

Wussten Sie, dass dieser Gastbeitrag erscheinen wird?

Nein.

Ist das auch ein Erfolg Ihrer Frau, deren Ziel es ist, den Ukrainekrieg in die Landespolitik zu holen?

Es ist ein Erfolg, dass eine Diskussion über die Notwendigkeit in Gang gekommen ist, sofort Friedensverhandlungen über die Beendigung des Ukrainekrieges zu beginnen, und ob es verantwortbar ist, Raketen in Deutschland zu stationieren, die noch gefährlicher sind als die Pershing 2, die in den 80er-Jahren in Deutschland stationiert werden sollten und zu den großen Friedensdemonstrationen geführt haben. Die neuen Raketen, die aufgestellt werden sollen, sind Angriffswaffen ohne Vorwarnzeit. Das ist, als ob man einem das Messer an den Hals setzt und dann sagt, das ist eine friedliche Handlung. Gott sei Dank gibt es auch Leute im Pentagon, die erkannt haben, dass das nicht verantwortbar ist. Große Teile der deutschen Politik und des Journalismus befürworten das und erwecken den Eindruck, als hätten sie den Verstand verloren. Zuletzt trommelte Friedrich Merz im Deutschen Bundestag dafür, Taurus-Raketen gegen Ziele in Russland einzusetzen, also faktisch Russland den Krieg zu erklären.

Was bekommen Sie von den Gesprächen zur Regierungsbildung mit, die in Thüringen, Sachsen und Brandenburg geführt werden?

Wir reden selbstverständlich zu Hause darüber und ich informiere mich über die Medien.

Einige Menschen glauben, dass eigentlich Sie hinter dem BSW stehen. Bodo Ramelow hat gesagt, in den Reden von Sahra Wagenknecht hört er Sie sprechen.

Das sind durchsichtige Versuche, meine Frau herabzusetzen.

Vielleicht kennt Ramelow Sie einfach gut.

Er ist verständlicherweise gekränkt, dass meine Frau in Thüringen mehr Zuspruch hat als er.

Ein BSW-Kollege nennt Sie einen gedanklichen Wegbereiter der Partei.

Wegbereiter sind die mit uns konkurrierenden Parteien, von denen sich viele Menschen nicht mehr vertreten fühlen. Das gilt auch für die Partei Die Linke, die von Wahl zu Wahl mehr Wähler verloren hat, weil sie für offene Grenzen war und einer unbegrenzten Migration das Wort geredet hat. Die Mehrheit der Arbeitnehmer wählt heute AfD. Das ist ein Desaster. Die Arbeiter wählen nämlich jetzt eine Partei, die bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen nicht ihre Interessen vertritt.

Wie arbeiten Sie mit Ihrer Frau zusammen?

So wie Mann und Frau zusammenarbeiten.

Arbeiten Mann und Frau zusammen?

Zumindest sollte es so sein. Oder ist es bei Ihnen anders?

Sie waren früher politische Konkurrenten.

Nein.

Waren Sie immer einer Meinung?

Sie hatte Bedenken, als ich zur Linken kam, weil sie dachte, ich verträte die gleichen Positionen wie Olaf Scholz, musste dann aber feststellen, dass wir in vielen Positionen übereinstimmen.

Es gibt wirklich keine Themen, bei denen Sie sich nicht einig sind?

Dann wäre es langweilig. Aber unterschiedliche Auffassungen diskutieren wir zu Hause, nicht öffentlich.

Hätten Sie auch den Bundestag verlassen, als Selenskyj seine Rede gehalten hat, wie Ihre Frau?

Die BSW-Abgeordneten haben das Plenum ja nicht verlassen, sie sind nicht hingegangen. Das ist etwas anderes. Und es wurde ihnen dann vorgeworfen, sie hörten Selenskyj nicht zu. Das ist natürlich Blödsinn, weil sie alle zugehört haben. Sie saßen nur nicht da und haben geklatscht. Ich hätte auch gesagt, wir bleiben da weg, weil Selenskyj erwartungsgemäß Forderungen aufgestellt hat, die zu einem großen europäischen Krieg führen würden.

Wie ist es für Sie, dass Sie jetzt immer „der Mann von“ sind?

Das erheitert mich, ich mache gerne Witze darüber.

Schauen Sie all die Interviews, Dokus und Talkshows, in denen Ihre Frau auftritt?

Ich gucke vieles, natürlich, aber nicht alles. Sie ist oft im Fernsehen.

Das sagen Sahra Wagenknechts Kritiker auch.

Das ist wiederum eine Kampagne und gelogen. Im Jahr 2023 war sie nicht mal unter den ersten 20 der am meisten eingeladenen Talkshow-Gäste. In diesem Jahr ist sie wegen der Parteigründung unter den ersten fünf.

Wie sieht Ihr Alltag als „Mann von“ aus?

Bevor Sie kamen, habe ich Zeitung gelesen. Gestern hatte ich eine Diskussion mit dem französischen Historiker und Anthropologen........

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