„Ossis stören nur“: Karl Döring über die Treuhand und die Missachtung ehemaliger DDR-Bürger

Erst Kombinatsdirektor des wichtigsten Stahlwerks der DDR, nach 1990 leitender Manager des Eisenhüttenkombinats Ost (EKO), ein paar Monate lang bis zum Rauswurf, und dann Treuhand-Aufsichtsrat – die Berufsbiografie von Prof. Dr.-Ing., Dr. oec. Karl Döring zwischen Ost und West ist einzigartig. Niemand kann authentischer vom wirtschaftlichen Umbruch nach 1990 berichten. Nun lebt der 87-Jährige mit seiner Frau Swetlana zurückgezogen in Zeuthen. Ein Gespräch über Macht und Ohnmacht, den Umgang mit dem Osten nach 1990, die heute spürbaren politischen Folgen und die Qualitäten von Markt- und Planwirtschaft.

Herr Professor Döring, Wikipedia nennt Sie einen „deutschen Manager“. Wie beschreiben Sie sich selbst?

Ich war in der DDR ein führender Wirtschaftsfunktionär und hatte in meinem angestammten Stahlunternehmen in Eisenhüttenstadt, dessen Generaldirektor ich zu DDR-Zeiten war, noch bis 2010 Führungsfunktionen inne – zuletzt in der EKO Stahl GmbH. Zu diesem Zeitpunkt waren wir ein Unternehmen der Gruppe Usinor, hinter der die vereinigte französische Stahlindustrie steckte.

Nach 2010 arbeitete ich zwei Jahre lang als Generalbevollmächtigter dieses Konzerns für Osteuropa und Russland und schließlich bis 2024 als selbständiger Unternehmensberater. Insofern trifft die Beschreibung deutscher Manager wohl zu. Da ich auch fast zehn Jahre Mitglied des Aufsichtsrates des größten russischen Hüttenwerkes Novolipezk Steel war, kommt noch eine russische Komponente hinzu.

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Sie haben die gesamte Transformation des Stahlwerkes in Eisenhüttenstadt vom Volkseigenen Betrieb zum Teil eines internationalen Konzerns mitgestaltet. Wie ging das vonstatten?

Die Privatisierungsprozesse nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik machen den Kern meiner Manager-Erfahrungen in der neuen Welt aus – mit all den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Es war in unserer Führungsmannschaft und im Betriebsrat, der zu Jahresbeginn 1990 gegründet wurde, unabdingbarer Wille, den Standort Eisenhüttenstadt zu erhalten. Schließlich ging es nicht nur um ein Stahlwerk, sondern um ein komplexes Hüttenunternehmen mit Erzwirtschaft, Hochofenbetrieb, dem eigentlichen Stahlwerk und den Bereichen der Stahlweiterverarbeitung sowie der Stahlveredlung.

Als es mit der DDR zu Ende ging, arbeiteten bei uns im EKO 12.000 Leute. Ganz Eisenhüttenstadt, die gesamte örtliche Wirtschaft, ob Backwarenkombinat, Molkerei oder Friseursalon, lebten in irgendeiner Form vom Werk, und das gesamte dörfliche Umfeld natürlich auch.

Sahen alle Akteure nach 1990 die Notwendigkeit, den Standort zu erhalten?

Sagen wir: viele. Es gab in der DDR-Stahlwirtschaft Standorte, von denen man annehmen konnte, dass sie in der gesamtdeutschen Stahlwirtschaft keinen Platz mehr finden würden. Dazu gehörte die Maxhütte, die Großmutter der DDR-Metallurgie, die zwar immer wieder modernisiert wurde, aber schon Ende des 19. Jahrhunderts entstanden war. Das erst in der DDR-Zeit erbaute Eisenhüttenstadt war modern und neu. In Eisenhüttenstadt war allen klar: „Stirbt das Werk, dann stirbt die Stadt!“

Wie verhielt sich die Treuhandanstalt?

Das muss ich differenziert darstellen: Ich kannte den ersten Treuhandchef, Detlev Rohwedder, persönlich. Der war Chef des Stahlunternehmens Hoesch in Dortmund. Zu dieser Zeit, als mangels entsprechender Investitionen ein wichtiger Produktionsschritt, das Warmwalzen, im EKO nicht ausgeführt werden konnte, bestanden zwischen der DDR und der westdeutschen Stahlindustrie entsprechende Vereinbarungen – und zwar mit den Unternehmen Salzgitter und Hoesch. Daher meine persönliche Bekanntschaft.

Rohwedder brachte eine ganz grundsätzliche Position in die Treuhand ein, nämlich: Das Aufsichtsgremium der Treuhand wird auch mit DDR-Chefs besetzt. So landete ich in jenem Verwaltungsrat, der das laufende Geschäft zu beaufsichtigen hatte, und wurde auch zum stellvertretenden Vorsitzenden dieses etwa 15 Mitglieder zählenden Verwaltungsrates gewählt, dem insgesamt fünf DDR-Leute angehörten. Die Regierung Lothar de Maizières hatte uns im Juli 1990 für zwei Jahre in das wichtige Gremium berufen. Dessen Chef war zunächst Rohwedder, der aber nach kurzer Zeit vom Aufsichtsgremium auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden der Treuhand wechselte – also Chef des operativen Geschäfts wurde.

Was steckte hinter diesem Personalwechsel?

Der erste Vorstandsvorsitzende, Dr. Rainer Maria Gohlke, zuvor Chef des Chaosunternehmens Bundesbahn, war sehr blauäugig, mit großen Ankündigungen zur Privatisierung der DDR-Wirtschaft angetreten. Aber er kam nicht klar, gab nach sechs Wochen auf. Kanzler Helmut Kohl trug daraufhin Rohwedder das operative Geschäft an: „Das müssen Sie selber machen.“

Wie erging es in dieser Zeit dem EKO?

Die Treuhand war schon unter der Modrow-Regierung gegründet worden. Die Betriebe hatten den Auftrag erhalten, sich aus volkseigenen in privatrechtliche Strukturen umzuwandeln. In unserem Fall entstand die EKO Stahl AG – eine Aktiengesellschaft in Treuhandeigentum. Diese AG brauchte einen Aufsichtsrat. Das Finden dieser Herren – von Damen redete man in jener Zeit nicht – zog die Treuhand an sich.

Sie besetzte die Aufsichtsräte. Rohwedder gab eine Empfehlung für den Chef unseres Aufsichtsrats und sagte mir: „Herr Döring, suchen Sie sich Ihre übrigen Aufsichtsräte aus. Wenn Sie das vernünftig machen, genehmigen wir das.“ Der von Rohwedder empfohlene Vorsitzende Dr. Otto Gellert, Besitzer........

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