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Ukraine-Krieg: Selenskyj ist verzweifelt, Putin ist verzweifelt – aber Scholz auch

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26.10.2024

Jahrelang haben Diplomaten, Politiker, Experten, Journalisten sie gesucht, in den Reden Putins, in der russischen Nukleardoktrin, in Äußerungen führender Politiker und Militärs und oft genug in den bizarren Auftritten führender Kreml-Propagandisten bei ihren Polit-Talkshows, in denen simuliert wurde, wie ein russisches Supertorpedo vor der britischen Küste einen nuklearen Tsunami auslöst, der dann Südengland unter einen Sturmflug aus radioaktiv versuchtem Wasser begräbt.

Gefunden haben sie sie aber nicht, die rote Linie des Kremls, nach deren Überschreitung ein Krieg zwischen Russland und der Nato ausbrechen würde. Nach jeder Atom-Drohung, nach jedem Fernsehauftritt lieferten westliche Regierungen neue Waffen, mehr Waffen, bessere Waffen an die Ukraine und nichts geschah. Oder jedenfalls nicht das, womit der Kreml und seine Propaganda gedroht hatten.

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Bis zum 12. Juli dieses Jahres. Da war sie plötzlich da, die rote Linie. Da erklärte Putin ganz undramatisch einem Reporter des staatlichen russischen Fernsehens, wenn westliche Staaten die Beschränkungen für den Einsatz moderner Langstreckenraketen durch die Ukraine aufhöben, dann befände sich Russland mit der Nato im Krieg. Das war nicht nur so dahingesagt, sondern offenbar Auftakt zu einer internationalen Kampagne gegen die sich abzeichnende Bereitschaft der USA und Großbritanniens, der Ukraine zu erlauben, mit den Langstreckenwaffen beider Staaten auch Ziele jenseits der annektierten Gebiete anzugreifen. Kurz darauf wiederholte Vasily Nebenzja, der russische UNO-Botschafter im Sicherheitsrat, Putins Warnung.

In den Medien wurden die, wie bisher auch, heruntergespielt, lächerlich gemacht, nicht ernstgenommen. In der Politik, in Washington, Berlin, Paris und London geschah – nichts. Weder die USA noch Großbritannien nahmen ihre Beschränkungen für Langstreckenwaffen zurück und Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte seine Weigerung, Taurus-Marschflugkörper zu liefern, noch einmal unmittelbar vor dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Und so bombardiert Russland weiterhin die Energie-Infrastruktur tief in der Ukraine, ohne dass die Ukraine dagegen mehr tun kann, als mit selbstgebauten Drohnen russische Treibstofftanks in die Luft zu jagen. Die rote Linie, die da so unspektakulär verkündet wurde, tut ihre Wirkung, ohne sich um die Spitzfindigkeiten westlicher Regierungen zu kümmern, die immer betonten, die Waffenlieferungen kämen von Nato-Mitgliedern, aber nicht von der Nato selbst.

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Im Osten rückt die russische Armee langsam und unter immensen Verlusten vor, ohne dass sie es bisher geschafft hätte, die kleine ukrainische Besatzungszone bei Kursk zurückzuerobern. Nach zweieinhalb Jahren Krieg könnte man glauben, das gehe immer so weiter – ein Stellungskrieg, überlagert von einem russischen Drohnenkrieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und der faktischen Sperrung des Schwarzen Meers für russische Schiffe.

So ist es aber nicht.

Als Unwissender in allem, was Militär und Waffen angeht, kann ich die Lage an den Fronten dieses Krieges nicht beurteilen. Es fällt mir wesentlich leichter, zu beurteilen, wie die wichtigsten involvierten Politiker sie beurteilen. Sie sind offenbar ziemlich verzweifelt.

Was, wenn nicht Verzweiflung, könnte den ukrainischen Präsidenten sonst dazu getrieben haben, einen teilweise geheimen Fünf-Punkte-Plan voller teils kurioser, teils unrealistischer Ziele vorzustellen und diesen dann bombastisch „Siegesplan“ zu nennen? Selenskyj wollte Langstreckenwaffen und die Aufhebung der bestehenden Einsatz-Beschränkungen für westliche Waffen, das unterstrichen alle, die sich mit dem Plan beschäftigt haben. Völlig zu Unrecht in Vergessenheit geriet dabei, was noch drinsteht – und was nicht drinsteht. Zum Beispiel eine........

© Berliner Zeitung


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