Nicht zerbrochen: Warum Deutschland besser ist als sein Ruf
Das Bild ist denkbar düster: Vor den Toren tobt der Krieg, eine große Seuche ist gerade durchs Land gegangen, die Wirtschaft steckt in der Rezession, die Arbeitslosigkeit steigt, in mehreren Bundesländern ist eine rechtsradikale Partei stärkste Kraft geworden – und die einzige Partei, die noch so was wie ein Stabilitätsanker sein könnte, die CDU, ist dabei, ins rechte Fahrwasser abzudriften und die AfD rechts zu überholen.
Ihr Vorsitzender will nächstes Jahr Kanzler werden, obwohl die meisten CDU-Wähler und die meisten Befragten in Umfragen ihm das gar nicht zutrauen. Damit das trotzdem klappt, macht die Parteispitze jetzt Wahlkampf gegen mehr Zuwanderung, obwohl wir die brauchen und obwohl die illegalen Grenzübertritte und Asylanträge seit Monaten sehr deutlich zurückgehen.
Kein Wunder, dass auch viele ausländische Beobachter den Eindruck haben, etwas sei zerbrochen in Deutschland. Das Land sei fremdenfeindlicher geworden, weniger tolerant, habe die Zuversicht und das Vertrauen in Regierung und Demokratie verloren. Wenn die Ampel jetzt auch noch ungestraft daran geht, das Dublin-System und die Reisefreiheit im Schengenraum zu demontieren, muss man wohl davon ausgehen, dass die Deutschen auch das Vertrauen in die EU verloren haben. Wenn bei Landtagswahlen Parteien Mehrheit bekommen, deren Vertreter Medien als Lügenpresse bezeichnen und sich selbst als Robin Hoods im Kampf gegen Staatsmedien und Altparteien darstellen, zeugt das dann nicht von einem enormen Vertrauensverlust in die traditionellen Medien und öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen?
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Das Erstaunliche dabei: Das glauben sogar viele Journalisten, die dort arbeiten. Bei einer Umfrage unter 250 Medienschaffenden in der Bundesrepublik gaben 2023 und dieses Jahr jeweils zwei Drittel an, sie spürten, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien zurückgegangen sei. Der Clou dabei: Das deckt sich mit der Wahrnehmung vieler Politiker und Bürger (mit meiner auch), es stimmt aber gar nicht. Während der Pandemie stieg das Vertrauen in die Medien sogar leicht an und fiel 2023 wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau zurück. Die Veränderung war so gering, dass jene 250 befragten Medienschaffenden das kaum bemerkt haben dürften. Mehr noch: Die so oft und lautstark gescholtenen öffentlich-rechtlichen Medien stehen weiterhin an der Spitze des Vertrauens der Bürger; 20 bis 25 Prozent vertrauen ihnen nicht, aber weit über 40 Prozent vertrauen ihnen „voll und ganz“. Die weit verbreitete Überzeugung, nach der sich „die Leute“ ihre Informationen so aus dem Internet zusammensuchen, dass sie zu ihren Auffassungen passen und dann behaupten, die traditionellen Medien würden lügen, wenn sie diesen Auffassungen widersprechen, stimmt auch nicht. Am meisten misstrauen die Befragten nämlich den sozialen Medien. Im Lichte einer kürzlich veröffentlichten Langzeitstudie der Uni Mainz ist das Vertrauen in YouTube und Google mit gerade einmal 11 Prozent so niedrig, dass man eigentlich schon von asozialen Medien reden könnte.
Ein schönes Paradox: Die Bürger vertrauen den traditionellen Medien, dem „Staatsfernsehen“ und der „Lügenpresse“ weit mehr, als diejenigen, die diese Medien machen, das selbst für möglich halten.
Und es ist nicht das einzige derartige Paradox.
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