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Krieg in Nahost: Sogar bewaffnete Räuberbanden haben Rechte – und Pflichten

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13.10.2024

Nach weniger als einem Jahr nach dem Massaker des 7. Oktober 2023 haben wir es im angeblich vereinten Deutschland schon geschafft, die Diskussion um den Nahostkonflikt so zu ritualisieren, wie das der alten, westdeutschen Bundesrepublik in Bezug auf „Krieg und Vertreibung“ erst Jahrzehnte nach dem Kriegsende gelungen ist. Damals musste jeder, der vor einem linken Publikum sprach, erst einmal über Hitler reden, bevor er über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten reden konnte, ohne ausgebuht oder mit harten Gegenständen beworfen zu werden. Und jeder, der vor einem konservativen Publikum auftrat, musste bei Erwähnung deutscher Verbrechen sofort die Vertreibung der Deutschen anführen, am besten im gleichen Atemzug.

Wer heute Israel kritisieren will, muss erst einmal ganz entschieden und kategorisch das Hamas-Massaker vom 7. Oktober verurteilen, sonst hagelt es Vorwürfe von Israel-bezogenem Antisemitismus oder Schlimmerem. Und wer Hamas und Hisbollah kritisieren will, der muss darauf hinweisen, dass der 7. Oktober angeblich eine Vorgeschichte hatte.

Das ist an sich schon ziemlich kurios, denn man kann sich zwar trefflich darüber streiten, ob Israel (noch) eine Demokratie und ein Rechtsstaat ist und ob die Regierung Netanjahu ganz Israel oder wenigstens die Mehrheit der Bevölkerung vertritt. Bei Hamas und Hisbollah kann man sich darüber nicht einmal streiten. Die sind weder ein Rechtsstaat, noch eine Demokratie, sie sind nicht einmal ein Staat (wenn, dann ist das der Staat Palästina, vertreten durch die Palästinensische Autonomiebehörde und der Staat Libanon, vertreten durch die libanesische Regierung).

Nach der Nomenklatur westlicher Staaten sind das beide Terrororganisationen. Die Bezeichnung ist nicht besonders gelungen, denn fast jede Bewegung, aus der irgendwann ein souveräner Staat hervorging, war irgendwann einmal für andere Staaten eine Terrororganisation. Man denke da nur an israelische oder kosovarische Staatsgründung oder an die Art und Weise, wie die Staaten auf dem Balkan vom Osmanischen Reich unabhängig wurden.

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Trotzdem wird es mir ewig ein Rätsel bleiben, wie angeblich fortschrittliche, linke, aufgeklärte und minderheitenfreundliche Gruppen im Westen mit Bewegungen sympathisieren können, die rückständig, extrem patriarchal, minderheitenfeindlich, religiös-fanatisch, rassistisch, diktatorisch, frauenfeindlich und autoritär sind. Ich fühle mich da immer an die europäischen und amerikanischen Intellektuellen erinnert, die sich in den dreißiger Jahren für die angeblich emanzipative und fortschrittliche Politik Josef Stalins begeisterten, bis sie ihr dann in einer von Stalins zahlreichen Säuberungen selbst zum Opfer fielen.

Ich ziehe mich deshalb gerne auf das Völkerrecht zurück. Das kennt keine „Terrormilizen“ und „Terrororganisationen“, wie sie in den Abendnachrichten vorkommen; es kennt nur „Milizen“: irreguläre bewaffnete Einheiten, die, man soll es nicht glauben, völkerrechtlich betrachtet auch Rechte und Pflichten haben. Allerdings ganz andere, als ihre Anhänger glauben.

Sie gehören beide zur vom Iran gegen Israel unterstützten „Achse des Widerstandes“, was suggeriert, sie seien Widerstandsbewegungen, etwa so wie die französische „Resistance“, die polnische „Heimatarmee“ oder die jugoslawischen Partisanen, die im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Besatzung kämpften. Wer sich auf den Webseiten pro-palästinensischer Organisationen umtut, findet auch jede Menge Hinweise auf die angebliche Existenz eines völkerrechtlichen „Rechts auf Widerstand“.

Die Argumentationskette verläuft dabei meist so: Da Hamas Widerstand gegen eine illegale Besatzung leistet, ist alles, was Hamas dabei tut, gerechtfertigt, während das, was Israel tut, unrechtmäßig ist, weil es ja illegaler Besatzer ist. Die Vorstellung, es gebe Staaten oder Organisationen, die per se im Recht und per se im Unrecht sind, hat mit dem Völkerrecht nichts zu tun. Das ist so blind und naiv, dass es nicht einmal darauf schaut, wer Angegriffener und wer Angreifer ist – beide müssen sich ans humanitäre Völkerrecht halten.

Sieht man genauer hin, entdeckt man, dass es dieses „Recht auf Widerstand“ tatsächlich gibt: im innerstaatlichen Bereich, wie zum Beispiel im Grundgesetz Artikel 20, Absatz 2. Nur gilt das Grundgesetz weder in Israel, noch im Staat Palästina, noch im Libanon. Und entsprechende Entsprechungen zu unserem Artikel 20 gibt es dort auch........

© Berliner Zeitung


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