Gefangenendeal: Wie Deutschland seine wertegeleitete Außenpolitik ausradiert hat
Es war eine der größten Austausch-Operationen der vergangenen Jahrzehnte, mit 16 Betroffenen und sieben beteiligten Regierungen sowie geheimen Verhandlungen, die bis zum Schluss auch geheim blieben. Und trotzdem haben fast alle, die daran beteiligt waren, jetzt Katzenjammer. Nur der Kreml triumphiert: Er ist mehrere bekannte Dissidenten losgeworden und hat seine Agenten und Auftragskiller zurückbekommen.
Man kann das mit dem Kalten Krieg vergleichen, aber der Vergleich führt in die Irre. Damals wurden Spione gegen Spione ausgetauscht, die Sowjetunion und ihre Bundesgenossen ließen Dissidenten ausreisen oder bürgerten sie sogar aus, wie die DDR Wolf Biermann. Die DDR ist vielleicht noch der beste Bezugspunkt aus dem Kalten Krieg: Sie verkaufte ihre politischen Gefangenen an die Bundesrepublik, allerdings gegen Geld, nicht im Austausch gegen Agenten.
Was da vor einer Woche ablief, war keine Rückkehr zum Kalten Krieg. Es war schlimmer und es wird uns noch lange auf dem Magen liegen. Es stellt uns, die liberalen Demokraten des Westens, vor ein unlösbares Problem: Entweder wir lassen uns von Diktatoren erpressen und ausziehen bis aufs Hemd, oder wir werden ihnen, Schritt für Schritt, immer ähnlicher. Aber dann können wir uns wehren.
09.08.2024
09.08.2024
09.08.2024
Es ist dieser Tage viel davon die Rede, dass sich die Bundesrepublik (und die anderen demokratischen Regierungen, die beteiligt waren) erpressbar gemacht hätten, weil der Kreml jetzt wisse, dass er nur beliebig viele westliche Bürger verhaften müsse, um seine Agenten, Spione und Auftragskiller freizupressen. Das ist richtig, aber seit dem Tausch der US-Basketballspielerin Brittney Griner gegen den russischen Waffenhändler Wiktor Anatoljewitsch But im Frühjahr 2022 nicht wirklich neu.
Der Iran hat das schon getan, die Türkei auch. Manchmal (wie im Iran) hat es für die Geiselnehmer funktioniert, manchmal nicht, wie im Fall Deniz Yücel, der durch politischen Druck und ohne erkennbare Gegenleistung in der Türkei wieder freikam. Was nun neu ist, ist die Unverfrorenheit, mit der Russland und Belarus vorgingen.
Eigentlich vorgesehen war ja, Nawalny und Gershkovich gegen den Tiergartenmörder auszutauschen. Doch Nawalny kam vorzeitig ums Leben. Daraufhin mussten neue Geiseln her, mit denen man Wadim Nikolajewitsch Krassikow aus seinem deutschen Knast loseisen konnte. So kam es zu der ziemlich spektakulären Aktion mit Rico Krieger und der Drohung, ihn in Belarus hinrichten zu lassen.
Heute können wir sagen: Es hat funktioniert. Da fast alle Kommentatoren momentan historische Flashbacks haben, kann ich zugeben, mich hat das Vorführen Kriegers im belarussischen Fernsehen auch an etwas erinnert: an die Videos, in denen der „Islamische Staat“ westliche Geiseln entweder vorführte oder gleich enthauptete.
Krieger wurde nicht enthauptet, aber die ganze Aktion zielte – wie beim IS – nur darauf ab, über die deutsche Öffentlichkeit die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Das können wir dem Kreml (und auch keiner anderen autokratischen Regierung) so nie heimzahlen, denn er kann solche Drohungen einfach aus den Medien heraushalten und bekommt dann auch keinen Druck von unten. Was auch bedeutet: In Zukunft kann der Kreml jeden aufgeflogenen Agenten oder Attentäter freipressen, indem er unbescholtene (und unvorsichtige) westliche Bürger entführt und dann austauscht.
Russland, der Iran und jede andere Diktatur, die sich dazu entschließt, bekommt damit einen Freibrief zum Spionieren, zum Einschüchtern von Exilanten und Kritikern im Ausland und sogar zu deren Ermordung, ohne dass wir uns dagegen wehren oder uns dafür revanchieren können. Diese Tatsache macht die neue ungarische Politik, Belarussen und Russen visafrei ins Land (und von dort aus innerhalb des Schengenraums weiterreisen) zu lassen, ganz besonders gefährlich.
Wenn es Nacht wird in Russlands Gefängnissen: Ein Protokoll
09.08.2024
Katja Hoyer: Der Osten ist anders und der Westen normal? Was für ein Selbstbetrug!
gestern
Deshalb rechne ich damit, dass es demnächst wieder permanente Grenzkontrollen an den Grenzen zu Ungarn und – angesichts von Orbans Politik, ungarische Pässe im Ausland zu verteilen – auch für Ungarn geben wird. Spätestens dann werden die Bundesrepublik und Frankreich auch auf Forderungen östlicher EU-Mitgliedsstaaten eingehen müssen und die Vergabe von Schengenvisa an Russen und Belarussen ganz einstellen müssen.........
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