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Deutsche Grenzen dichtmachen: Womit Merz und die Union nicht rechnen

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09.09.2024

Um der AfD Wähler abspenstig zu machen, sind mehrere CDU-Politiker, darunter sogar Friedrich Merz, auf eine Idee gekommen, die das Potenzial hat, das CDU-Image gewissermaßen über Nacht vollkommen umzukrempeln und die AfD von rechts zu überholen. Die AfD will ja, wie wir seit ihrem Magdeburger Parteitag wissen, die EU nicht mehr auflösen oder verlassen, sondern nur neu gründen, als losen Staatenbund außerhalb der Nato.

Einflussreiche CDU-Politiker dagegen wollen seit kurzem an den deutschen Grenzen Migranten, die aus Nachbarstaaten kommen, zurückweisen. Das klingt zunächst einmal harmlos, hat aber, wenn es konsequent durchgeführt wird, enorme Konsequenzen für die EU, für unser Verhältnis zu diesen Nachbarstaaten, für das gesamte Migrationsgeschehen in Europa und für die innere Sicherheit.

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Die Forderung hat auch sofort Proteste der üblichen Verdächtigen hervorgerufen. Menschenrechtler, Juristen, Migrationsforscher haben sie als nicht hilfreich, nicht human und völkerrechtswidrig bezeichnet. Solche Proteste wecken bei mir immer den Drang, in die Fußstapfen der Stiftung Warentest zu treten und die Argumente einem Praxistest zu unterziehen. Das erstaunliche Ergebnis: Der CDU-Plan würde funktionieren und die irreguläre Migration nach Deutschland drastisch begrenzen. Er hätte allerdings auch einen ziemlich hohen Preis.

Im Herbst letzten Jahres hat Innenministerin Nancy Faeser an den Grenzen zu Polen und Tschechien permanente Grenzkontrollen einrichten lassen. Daraufhin sind die Zahlen der illegalen Grenzübertritte an Oder und Neiße drastisch zurückgegangen und die Zahl der Festnahmen von Schleusern ist gestiegen. Ein für Polen angenehmer Nebeneffekt: Auch die Zahl der Migranten, die Aleksander Lukaschenko und Wladimir Putin in Afrika und dem Nahen Osten einsammeln, um sie dann über die Grenze zu den baltischen Staaten und zu Polen zu schicken, ging erst einmal zurück.

Kaum jemand von denen will ja nach Polen oder Litauen einwandern, alle wollen nach Deutschland oder eventuell in ein anderes westeuropäisches Land. Geht das nicht mehr, weil man nicht nur den polnischen Grenzzaun an der belarussischen Grenze, sondern auch die deutsch-polnische Grenze überwinden muss und danach ohnehin nach Polen rücküberstellt wird, verzichten viele darauf, diesen Weg zu nehmen, und gehen über das Mittelmeer oder den Atlantik.

Das Problem mit Faesers permanenten Grenzkontrollen ist nur, dass sie bis dato lediglich an den wichtigsten Grenzübergängen stattfanden. Ich war im Juli zwei Wochen lang auf Usedom und habe dort weder eine Grenzkontrolle noch einen Wagen der Bundespolizei gesehen, während sich in Frankfurt (Oder) die Autos wegen der Grenzkontrollen auf der Autobahn stauten. Da weder Migranten noch Schlepper blöd sind, bedeutet das, dass sie auf unkontrollierte Übergange zurückgreifen werden. Das heißt: Grenzkontrollen sind nur effektiv, wenn sie überall stattfinden. Richtet Faeser sie auch auf Usedom, bei Zittau und Guben ein, werden die Schlepper ihre Kunden über die grüne Grenze geleiten. So war das schon mal, in den 90er-Jahren, als die Schengen-Außengrenze noch an Oder und Neiße lag und der Bundesgrenzschutz (BGS), den es damals noch gab, auch die grüne Grenze bewachen musste. Inzwischen geht die Zahl der Migranten, die über Belarus und Polen nach Deutschland kommen, wieder in die Höhe. Erstens ist jetzt Sommer und zweitens haben die Schlepper bemerkt, wie der Hase läuft – nämlich über kleine, nicht bewachte Grenzübergänge und die grüne Grenze. Die Schlussfolgerung, ganz im Sinne der CDU: also machen wir die auch dicht.

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Bisher funktioniert das sogenannte Dublin-3-System (benannt nach dem EU-Abkommen, das in Dublin geschlossen wurde) so: Für die Asylverfahren ist der erste EU-Staat zuständig, den ein Migrant betritt. Bittet er dort um Asyl oder wandert er weiter nach Deutschland ohne einen Asylantrag zu stellen und können die deutschen Behörden nachweisen, über welches EU-Land er eingereist ist, dürfen sie ihn dahin zurückschicken, vorausgesetzt, sie schaffen das innerhalb von sechs Monaten. Schaffen sie es nicht, sind sie selbst für das Asylverfahren und die anschließende Tolerierung oder Abschiebung verantwortlich. So war das ja auch bei dem Syrer, der in Solingen drei Menschen erstochen hat – er konnte nicht innerhalb von sechs Monaten nach Bulgarien überstellt werden, also war Deutschland für ihn zuständig.

Das Dublin-System lädt also den Randstaaten der EU – vor allem Griechenland, Italien und Spanien – die Hauptlast auf. Wer sie betritt und weiterwandert, kann zu ihnen........

© Berliner Zeitung


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