Deutsch-polnische Beziehungen: Reparationen oder Bundeswehrsoldaten in Polen werden nicht helfen
Die Geschichte wurde acht Jahre lang so lange und lautstark erzählt, dass sie am Ende sogar manchen Kommentatoren, Experten und Politikern in Deutschland geglaubt wurde. Sie lautet: Die deutsch-polnischen Beziehungen sind schlecht, weil die Deutschen zu wenig darüber wissen, was sie im Dritten Reich den Polen angetan haben. Wenn sie das erfahren, in sich gehen, alles bereuen und Polen Reparationen bezahlen, dann werden die Beziehungen besser werden.
Die PiS-geführten Regierungen zwischen 2015 und 2023 erzählten diese Geschichte laut und penetrant, aber das Klagen darüber, wie wenig Deutsche angeblich über polnische Geschichte wissen, wird weit über das PiS-Milieu hinaus geteilt.
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Wir haben ja in Deutschland bekanntermaßen den Anspruch, die Vergangenheit „aufzuarbeiten“. Und genau an diesem wunden Punkt rührt ja die Forderung, wir müssten mehr über unsere Verbrechen an Polen erfahren, um unser Verhältnis zu Polen zu verbessern. So hat sich der westliche Teil der Bundesrepublik ja jahrzehntelang selbst sein Verhältnis zur Vergangenheit erklärt: Man muss, um mit sich ins Reine zu kommen, seine Vergangenheit aufarbeiten, sich von ihr distanzieren, bereuen, sich entschuldigen und Wiedergutmachung leisten. So taten es deutsche Politiker gegenüber Israel, der Sowjetunion, Tschechien, „den Juden“ (den eigenen und denen im Ausland), Zwangsarbeitern, Opfern von medizinischen Experimenten und Holocaust-Überlebenden.
Kaum jemand bemerkte den Schönheitsfehler dabei: das beste Verhältnis haben wir Deutschen heute zu Frankreich, bei dem sich nie ein deutscher Politiker für die Besatzung entschuldigt hat. Sämtliche deutsch-französische Versöhnungsgesten betrafen den Ersten Weltkrieg, vom Zweiten ließen Deutsche und Franzosen vollkommen die Finger. Von Reparationen übrigens auch, beide Seiten wussten ja, wie das nach 1871 und 1918 geendet hatte: mit einem neuen Krieg.
Die Überzeugung, wonach man seine Vergangenheit nach dem obigen Muster aufarbeiten muss, um sie nicht wiederholen zu müssen, entstammt eigentlich der Freudschen Psychotherapie. Sigmund Freud, der bekannteste Heilpraktiker unter den Psychologen, wollte damit ursprünglich einzelnen Patienten und nicht ganzen Völkerschaften Erleichterung verschaffen.
Die oben zitierte Geschichte darüber, wie Deutsche ihr Verhältnis zu Polen verbessern sollten, ist aber noch aus einem anderen Grund hochproblematisch: Sie abstrahiert vollkommen davon, dass die Bundesrepublik eine Einwanderungsgesellschaft ist, in der inzwischen fast ein Drittel der Bewohner einen „Migrationshintergrund“ hat oder Ausländer ist, weshalb deren Vorfahren in Bezug auf das Dritte Reich weder Täter noch Opfer gewesen sein können. Der Anteil solcher Mitbürger liegt in Polen trotz der massiven ukrainischen Einwanderung bei 6,5 Prozent. Deshalb sollte man es PiS-Politikern nachsehen, wenn sie Deutschland noch immer als einen monoethnischen Nationalstaat von Bio-Deutschen ansehen, in dem jeder durch ererbte Schuld irgendetwas mit Hitler zu tun haben muss. Sie projizieren einfach ihr (leicht verzerrtes) Bild von Polen auf Deutschland: Weil ihnen Polen als ein monoethnischer, minderheitenfreier Nationalstaat von Bio-Polen vorschwebt, gehen sie davon aus, dass Deutschland ein monoethnischer, minderheitenfreier Nationalstaat von Bio-Deutschen ist.
Aber ein heute hier lebender Bundesbürger türkischer, armenischer, britischer, italienischer, marokkanischer oder vietnamesischer Abstammung hat ja wenig Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, was seine Vorfahren Polen angetan haben. Was passiert, wenn man das deutsche Modell der Vergangenheitsbewältigung Nationen überstülpt, die sich weigern, sich kollektiv auf Freuds Couch zu legen, kann man ja seit Monaten an unseren Hochschulen beobachten. Araber und Muslime, die noch offene Rechnungen mit Israel haben, wollen einfach nicht verstehen, warum sie vor dem Begleichen erst einmal kollektiv in sich gehen und alles Böse bereuen sollen, was ihre Vorfahren in der Vergangenheit veranstaltet haben. Kein Wunder: Das Konzept, zu bereuen und Buße zu tun, ist ja nicht nur freudianisch, sondern auch zutiefst katholisch, was erklärt, warum es sich in der alten Bundesrepublik noch einer gewissen Popularität erfreute, aber im protestantisch geprägten, aber heute überwiegend atheistischen Osten des Landes immer mehr unter die Räder kommt.
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