Als Juristin – so wollte ich diese Kolumne zuerst einleiten – eröffne ich auch meine Liebesprozesse mit einem schriftlichen Vorverfahren. Natürlich ist mitunter ein Eilverfahren angezeigt, wenn anderenfalls eine einmalige Gelegenheit ungenutzt zu verstreichen droht – aber in aller Regel führt der Weg in mein Herz und mein Bett über die Sprache. Vor allem der schriftliche Austausch, flirtendes Schreiben, schreibendes Flirten, bringen mich in Stimmung.

Andererseits – wie unsexy ist es eigentlich, eine Sexkolumne mit „Als Juristin“ einzuleiten? Nein, das geht nicht. Also noch einmal von vorn:

Ich hoffe, auch Sie, liebe Lesende, haben ein, zwei, drei große Lieben in Ihrem Leben, die es vermögen, Sie immer wieder zu erfreuen, zu bereichern und zu beglücken. Eine meiner großen Lieben ist die deutsche Sprache. Das mag erstaunen, habe ich mich doch für die Juristerei entschieden – aber ehrlich gesagt: Anwaltssprache ist kein Deutsch, sondern aufgeblähter Schwulst. Seit der Zeit, als man sie noch Advokaten nannte, vererbt jede Generation von Anwälten ihre sprachlichen Unsitten an die nächste. Mit antiquierten Floskeln und Fachvokabular etabliert man Macht. Mit Recht hat das nichts zu tun. Die Klarheit und Schönheit einiger alter Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches jedenfalls ist darüber erhaben.

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Jetzt bin ich doch wieder bei Jura gelandet – aber keine Sorge, es geht gleich zur Sache. Doch zunächst: Ja, es gibt auch diese seltenen magischen Momente, wo man auf einer Tanzfläche ein Lächeln fängt, sich annähert, umtanzt, zart berührt und schließlich küsst, ganz ohne Worte. Und dann geht man auf einen Drink an die Bar, und es stellt sich heraus, dass der Typ Franzose ist und man sich kaum mit ihm verständigen kann. Unwahrscheinlich, dass ich weitergehen würde. Und selbst wenn – meine Handynummer würde ich ihm nicht geben, denn was hätte ich davon? Ohne schriftliches Heißmachen zwischendurch wird es kein weiteres Treffen geben.

Ich schreibe und rede gern darüber: davor, dabei, danach und dazwischen. Worüber? Na über Sex! Nun können Sie einwenden, dass man über Sex ja wohl kaum ununterbrochen reden kann. Das mag sein. Jedenfalls nicht über die harten Fakten, die hat man ja im Idealfall schnell kommuniziert: Was mag ich, was nicht, dos and dont’s. Aber da geht ja noch so viel mehr:

Um die Zeit „davor“ und „dazwischen“ angenehm zu überbrücken, können Sie beispielsweise kleine Geschichten schreiben. Ein assoziationsreicher Arbeitstitel – „der Liebestrank“, „der geheimnisvolle Fremde“, „ein Fräulein in Nöten“ –, und beide Flirtpartner schreiben ihre Fantasie dazu auf, die man sich dann beim nächsten Date – davor, dabei oder zwischendurch – gegenseitig vorliest.

13.02.2024

15.02.2024

16.02.2024

•gestern

16.02.2024

Als der Mann an meiner Seite mir vor dem ersten Date schrieb, dass er Lehrer sei, war ich begeistert. Ich liebe Hausaufgaben! Ein Deutschlehrer trug mir im Flirt einmal auf, ein Sonett zu dichten. Strenge Form, große Herausforderung, perfekte Aufgabe. Ich verfasste zur Einstimmung eine ganze Reihe von Sonetten – und nach dem Date eine sonettförmige Zusammenfassung des Abends: ein Sexonett. Ein anderer Angehöriger der schreibenden Zunft hieß mich ein Chant Royal verfassen, eine französische Gedichtform des Mittelalters. Ich bat erst ChatGPT um Hilfe (seitdem weiß ich, dass das System gar nichts kann!) und schrieb dann selbst: fünf elfzeilige Balladenstrophen über die Liebe, geheime Wünsche und Leidenschaften. Ich liebe Flirtlyrik – und was sich reimt, ist wahr.

Das Reden „dabei“ kann großartig sein. Als Juristin liebe ich Analysen und Schemata – und der Lehrer an meiner Seite ebenfalls. Wir haben drei Kategorien von Sex-Standardsituationen ausgemacht: Die erste: Man ist körperlich und gedanklich im Moment. Man schaut sich tief in die Augen und sagt sich Dinge wie: „Wie schön deine Wimpern sind.“ Die zweite: Man ist körperlich in einer Situation und gedanklich in einer anderen. Man erzählt sich: „Ich stelle mir gerade vor, du bist meine Sekretärin und …“ Die dritte: Man passt die körperliche Aktivität der gedanklichen an. Man spielt seine Fantasie durch, man fühlt sie: „Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen, bitte sei zärtlich …“ Im Kopf kann ich alles sein, sogar Jungfrau.

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Das Schreiben „danach“ rundet eine schöne Begegnung ab. Ich höre hin und wieder, dass es unbedingt der Mann sein müsse, der sich zuerst meldet. Blödsinn. Wenn es mir gefallen hat, schreibe ich das sofort. Warum damit warten, worauf? Benutzen Sie eigene, starke Worte, wenn es Ihnen gefallen hat. Erfinden Sie notfalls welche. Mein Honigschatz, mein Geliebtester, es war so zauberschön mit dir – die deutsche Sprache lässt Wortkombinationen und Neuschöpfungen großzügig zu.

Ich als Juristin liebe neben Sex und Analysen vor allem sie: die deutsche Sprache. Und deshalb – sorry liebe zugezogene, in Internetfirmen arbeitende Expats, die ihren Berliner Alltag mit Englisch bewältigen und nach Jahren kein Wort Deutsch sprechen –, deshalb kann ich mit euch leider nicht flirten. Mit meinem funktionalen Disco-Englisch verstehe ich euch nicht genug, und ich fühle mich in meinem Ausdrucksbedürfnis wie amputiert. Aber ich freue mich jedes Mal, wenn ich meinem deutschen Wortschatz ein neues oder auch ganz altes Wort hinzufügen kann. Und noch mehr freue ich mich, wenn mir vor, während und nach einer sexuellen Begegnung die Schmetterlinge nicht nur im Bauch, sondern auch im Kopf herumschwirren.

QOSHE - Warum der Weg in mein Bett über die Sprache führt - Irene Hallof
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Warum der Weg in mein Bett über die Sprache führt

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18.02.2024

Als Juristin – so wollte ich diese Kolumne zuerst einleiten – eröffne ich auch meine Liebesprozesse mit einem schriftlichen Vorverfahren. Natürlich ist mitunter ein Eilverfahren angezeigt, wenn anderenfalls eine einmalige Gelegenheit ungenutzt zu verstreichen droht – aber in aller Regel führt der Weg in mein Herz und mein Bett über die Sprache. Vor allem der schriftliche Austausch, flirtendes Schreiben, schreibendes Flirten, bringen mich in Stimmung.

Andererseits – wie unsexy ist es eigentlich, eine Sexkolumne mit „Als Juristin“ einzuleiten? Nein, das geht nicht. Also noch einmal von vorn:

Ich hoffe, auch Sie, liebe Lesende, haben ein, zwei, drei große Lieben in Ihrem Leben, die es vermögen, Sie immer wieder zu erfreuen, zu bereichern und zu beglücken. Eine meiner großen Lieben ist die deutsche Sprache. Das mag erstaunen, habe ich mich doch für die Juristerei entschieden – aber ehrlich gesagt: Anwaltssprache ist kein Deutsch, sondern aufgeblähter Schwulst. Seit der Zeit, als man sie noch Advokaten nannte, vererbt jede Generation von Anwälten ihre sprachlichen Unsitten an die nächste. Mit antiquierten Floskeln und Fachvokabular etabliert man Macht. Mit Recht hat das nichts zu tun. Die Klarheit und Schönheit einiger alter Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches jedenfalls ist darüber erhaben.

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© Berliner Zeitung


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