Drei Ostdeutsche bei Wein und Wodka: Ostfrau – das klingt so nach Deformation und Gruppenzwang

Der Titel „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ enthält drei Versprechen, von denen eines ganz, eines halb und eines gar nicht eingelöst wird. Die Autorinnen des Buchs – Annett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann – sind tatsächlich ostdeutscher Herkunft, 1964 in Magdeburg, 1976 in Dresden und 1978 in Rostock geboren. Im Verlauf ihrer Gespräche (es sind sieben Treffen) nehmen sie einige alkoholische Getränke zu sich wie Crémant, Wein, Wodka verschiedener Herkunft, Bowle unterschiedlicher Mischung und Gin Tonic, werden davon jedoch höchstens beschwipst, nicht merkbar betrunken. Sie diskutieren gesellschaftliche Modelle und Utopien, gründen allerdings keinen Staat.

Da war also der Mann, der einer der dreien den Floh, also den Titel, ins Ohr setzte, etwas übermütig. Florian Kessler, Lektor beim Hanser-Verlag in München, soll, so steht es in der letzten der vielen Fußnoten des Bandes, im April 2023 in Berlin-Prenzlauer Berg Annett Gröschner das Projekt samt Namen vorgeschlagen haben.

Die Herkunft bildet den Ausgangspunkt für viele Fragen, die von den drei Frauen diskutiert werden. Dabei erinnern sie sich zwar gelegentlich an Stichpunkte, die sie zuvor gesammelt haben, arbeiten sie angenehmerweise aber nicht bürokratisch ab. Überhaupt verlaufen die Begegnungen sympathisch ungeordnet.

Und deshalb lässt es sich verschmerzen, dass am Ende kein idealer Staat herauskommt, deshalb kann man nur begrüßen, dass Gröschner, Mädler und Seemann vom Prickeln im Glas zu tieferen Erinnerungen und kühneren Gedankenverbindungen angeregt werden, ohne die Kontrolle darüber zu verlieren. Man kann ihnen beim Denken zuschauen.........

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