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Kottbusser Tor: „Wenn ich sterbe, dann will ich schnell sterben“

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17.11.2024

Direkt neben der Fixerstube wird gefeiert: Ein neuer Dönerladen hat eröffnet. Der Imbiss ist mit vielen bunten Ballons geschmückt, ein Dutzend junger Männer wartet in der Mittagszeit auf ihre Kebabs. Eine neue Imbissbude – eigentlich nichts Besonderes in Kreuzberg, aber eine kleine Sensation an diesem Ort, der geradezu berüchtigt ist für Stillstand, Tristesse und Drogenelend in seiner drastischsten Form: das Kottbusser Tor.

Auf dem Gehweg und der Straße liegen leere Essensboxen, Plastikgabeln und Feuchttücher. Dazwischen ein großer Fleck Erbrochenes. Es stinkt nach Urin. Ein Mann schnaubt Nasensekret auf die Straße. Auf dem abgesperrten Grundstück gegenüber dem Druckraum stehen schwarze Mülltonnen, daneben ist eine kleine Deponie – mitten in der Stadt. Die Männer am Imbiss stören sich daran offenbar nicht. Hier ist der Ausnahmezustand der Normalzustand.

An diesem Ort gehören nun mal nicht nur zahlreiche Imbissbuden zum Alltag, sondern vor allem Crack, Heroin und Kokain. Nicht selten versammeln sich vor dem Druckraum einige Dutzend Menschen. Es sind immer die gleichen Gesichter. Bei den einen wird der Dreck unter den Fingernägeln immer schwärzer, die anderen haben vom Drogenkonsum viele Narben auf der Haut – manche haben, vermutlich durch nicht behandelte Entzündungen, ein Bein verloren. Bei manchen trifft alles zu. Das Kottbusser Tor, durchaus ein Vorhof zur Hölle – jedenfalls für Berliner Verhältnisse.

Diese Kreuzung, der sogenannte Kotti, ist für viele der Inbegriff von Hässlichkeit, Verwahrlosung und Müll. Der Kotti ist krank – und eine Heilung ist nicht in Sicht. Es gibt einige Orte dieser Art in Berlin. Wer die Szene hier eine Weile beobachtet, denkt, dass Berlin die Dramatik der Lage an solchen Orten nicht erkannt hat. Viele schauen über das ganze Elend hinweg, radeln einfach vorbei. Gleichzeitig ist dieser Ort auch ein Magnet: Touristen kommen, Expats, junge Berliner, Partypeople, die wegen der hippen Bars in der Gegend kommen. Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

In der einen Welt tritt Sascha aus der Tür des Druckraums, stellt seinen Rucksack ab und nestelt am Reißverschluss herum. Minutenlang müht er sich ab. Endlich bekommt er den Rucksack zu, wirft ihn über die Schulter und macht sich auf den Weg. „Geld machen für den Tag.“ Er kommt an den ewig gleichen Gesichtern vorbei. Ein Fixer grüßt mit lautem Hallo und fragt ihn sofort nach frischem Stoff, nach einer Ersatzdroge. „Klar gibt’s hier Substitol, gleich hier um die Ecke“, sagt Sascha. Substitol wird zur Substitutionsbehandlung bei Opioid-Abhängigkeit verwendet.

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Sascha ist einer von Tausenden Schwerst-Abhängigen in Berlin. Er konsumiert Heroin und Kokain, greift aber, wann immer es geht, zu Substitol. Das zerstöre den Körper nicht ganz so schnell. Am Morgen gab er rasch Pfandflaschen ab, damit er sich zum Frühstück für fünf Euro die Ersatzdroge besorgen konnte – vom Schwarzmarkt.

Das Kottbusser Tor zieht Drogensüchtige an. Nicht nur, weil es hier den Konsumraum des Vereins Fixpunkt gibt. Drogenkonsum soll nicht mehr offen auf der Straße stattfinden müssen, die Süchtigen sollen auch saubere Spritzen nutzen können. Seine Drogen kauft Sascha am Moritzplatz oder an der Jannowitzbrücke. Die Dealer am Kotti seien eher „Junkies, die auf Dealer machen“. Sie verkaufen hier ihr Substitut an andere Abhängige. „Dass man hier am Kotti Heroin kaufen kann, ist eine urbane Legende“, sagt er.

Sascha sagt, dass er keine Ersatzdrogen mehr verschrieben bekommt. Er habe keinen Substitutionsarzt mehr, seit er aus der Krankenkasse geflogen ist, so erzählt er es. Für die Rückkehr bräuchte er eine Meldeadresse, die habe er aber nicht. Sascha ist obdachlos. Er könne sich auch nicht offiziell anmelden – sein Personalausweis sei weg. „Ich wurde in der Bahn wegen ein paar Flaschen beklaut“, sagt er.

Immer wieder erzählen Obdachlose, dass sie........

© Berliner Zeitung


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