Kommentar

Plakative Erinnerungskultur

Es soll ein Denkmal errichtet werden zur Erinnerung an das Basler Judenpogrom von 1349. Den hehren Absichten soll die Frage entgegengestellt werden: Ist diese Absicht nötig oder zeitgemäss?

Patrick Marcolli 29.08.2023, 05.00 Uhr

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Eine Plakette für die Verdingkinder gibt es im Rathaushof seit knapp zwei Jahren (im Bild links: Wirtschaftsdirektor Kaspar Sutter, SP)

Bild: Nicole Nars-Zimmer

Die Erinnerungskultur ist ein Spiegel der Gesellschaft. Was bedeutet es also für die Gegenwart, wenn Basel-Stadt zusammen mit seinen jüdischen Communities ein Denkmal für das Judenpogrom von 1349 errichten will? Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Geschichte aufgearbeitet wird und man aus negativen Ereignissen – von Fehlern bis zu Verbrechen, wie das Pogrom eines war – die richtigen Schlüsse ziehen und daraus für die Zukunft lernen kann. Nur so gelingt zivilisatorischer Fortschritt.

Aber die Frage muss gestellt werden, ob ein Ereignis, das vor 674 Jahren geschah, in diesem Sinn als Lehrbeispiel taugt. Selbstverständlich: Im (Dis-)Kontinuum der Geschichte der Juden in Basel ist dieses Pogrom eine Wegmarke. Aber für dieses fürchterliche, spätmittelalterliche Verbrechen heute einen Erinnerungsort konstruieren?

In den vergangenen Jahren ist in Basel eine Tendenz zur «Denkmalisierung» zu erkennen. Sie hat sich in der Tafel an der Mittleren Brücke zur Erinnerung an die so genannten Hexenverbrennungen manifestiert oder auch in der Plakette im Rathaushof zur Erinnerung an die hiesigen Verdingkinder. Im Gedenken an die Verfolgungen, denen die jüdische Bevölkerung ausgesetzt gewesen ist, etablieren sich auch bei uns seit einiger Zeit die «Stolpersteine», die ich im Gegensatz zu den anderen beiden Beispielen wiederum für ein äusserst geeignetes Mittel der Erinnerungskultur halte: Sie werden Teil unserer eigenen Lebenswelt, unseres Alltags – eindringlich und subtil zugleich. In der Abwägung dieser Argumente würde ich dafür plädieren, die Pläne für ein Denkmal zum Judenpogrom nicht zu realisieren.

Wir befinden uns in einer Welt, deren Fliehkräfte auch in der Erinnerungskultur grösser werden. Im Namen der «richtigen» Sicht auf die Dinge werden ungeliebte Denkmäler geschleift. Im Namen der Gerechtigkeit oder aus einem Gefühl der Schuldbegleichung werden neue errichtet. Früher wie heute gleicht das dem Versuch, den öffentlichen Raum und damit den Diskurs zu bestimmen. Dieser im Wortsinn plakativen Sicht auf Geschichte sollten wir eine andere, stärkere entgegenhalten: In Erziehung und Bildung.

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Es soll ein Denkmal errichtet werden zur Erinnerung an das Basler Judenpogrom von 1349. Den hehren Absichten soll die Frage entgegengestellt werden: Ist diese Absicht nötig oder zeitgemäss?

Die Erinnerungskultur ist ein Spiegel der Gesellschaft. Was bedeutet es also für die Gegenwart, wenn Basel-Stadt zusammen mit seinen jüdischen Communities ein Denkmal für das Judenpogrom von 1349 errichten will? Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Geschichte aufgearbeitet wird und man aus negativen Ereignissen – von Fehlern bis zu Verbrechen, wie das Pogrom eines war – die richtigen Schlüsse ziehen und daraus für die Zukunft lernen kann. Nur so gelingt zivilisatorischer Fortschritt.

Aber die Frage muss gestellt werden, ob ein Ereignis, das vor 674 Jahren geschah, in diesem Sinn als Lehrbeispiel taugt. Selbstverständlich: Im (Dis-)Kontinuum der Geschichte der Juden in Basel ist dieses Pogrom eine Wegmarke. Aber für dieses fürchterliche, spätmittelalterliche Verbrechen heute einen Erinnerungsort konstruieren?

In den vergangenen Jahren ist in Basel eine Tendenz zur «Denkmalisierung» zu erkennen. Sie hat sich in der Tafel an der Mittleren Brücke zur Erinnerung an die so genannten Hexenverbrennungen manifestiert oder auch in der Plakette im Rathaushof zur Erinnerung an die hiesigen Verdingkinder. Im Gedenken an die Verfolgungen, denen die jüdische Bevölkerung ausgesetzt gewesen ist, etablieren sich auch bei uns seit einiger Zeit die «Stolpersteine», die ich im Gegensatz zu den anderen beiden Beispielen wiederum für ein äusserst geeignetes Mittel der Erinnerungskultur halte: Sie werden Teil unserer eigenen Lebenswelt, unseres Alltags – eindringlich und subtil zugleich. In der Abwägung dieser Argumente würde ich dafür plädieren, die Pläne für ein Denkmal zum Judenpogrom nicht zu realisieren.

Wir befinden uns in einer Welt, deren Fliehkräfte auch in der Erinnerungskultur grösser werden. Im Namen der «richtigen» Sicht auf die Dinge werden ungeliebte Denkmäler geschleift. Im Namen der Gerechtigkeit oder aus einem Gefühl der Schuldbegleichung werden neue errichtet. Früher wie heute gleicht das dem Versuch, den öffentlichen Raum und damit den Diskurs zu bestimmen. Dieser im Wortsinn plakativen Sicht auf Geschichte sollten wir eine andere, stärkere entgegenhalten: In Erziehung und Bildung.

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29.08.2023

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Plakative Erinnerungskultur

Es soll ein Denkmal errichtet werden zur Erinnerung an das Basler Judenpogrom von 1349. Den hehren Absichten soll die Frage entgegengestellt werden: Ist diese Absicht nötig oder zeitgemäss?

Patrick Marcolli 29.08.2023, 05.00 Uhr

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Eine Plakette für die Verdingkinder gibt es im Rathaushof seit knapp zwei Jahren (im Bild links: Wirtschaftsdirektor Kaspar Sutter, SP)

Bild: Nicole Nars-Zimmer

Die Erinnerungskultur ist ein Spiegel der Gesellschaft. Was bedeutet es also für die Gegenwart, wenn Basel-Stadt zusammen mit seinen jüdischen Communities ein Denkmal für das Judenpogrom von 1349 errichten will? Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Geschichte aufgearbeitet wird und man aus negativen Ereignissen – von Fehlern bis zu Verbrechen, wie das Pogrom eines war – die richtigen Schlüsse ziehen und daraus für die Zukunft lernen kann. Nur so gelingt zivilisatorischer Fortschritt.

Aber die Frage muss gestellt werden, ob ein Ereignis, das vor 674 Jahren geschah, in diesem Sinn als Lehrbeispiel taugt. Selbstverständlich: Im (Dis-)Kontinuum der Geschichte der Juden in Basel ist dieses Pogrom eine Wegmarke. Aber für dieses fürchterliche, spätmittelalterliche Verbrechen heute einen Erinnerungsort konstruieren?

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