Schon als Kind musste Maria Trauben pflücken, während ihre Freund:innen Party machten. Wenn sie im Weingarten in einem kleinen Ort in der Nähe von Krems in Niederösterreich stand, träumte sie von einem Leben in der Großstadt. Wenn sie beim Ausliefern des Weines half, lag sie in Gedanken am Strand in einem wochenlangen Urlaub am Meer. In Marias Familie war das nie möglich, denn sie sind Weinbauern und kümmern sich rund um die Uhr um den Betrieb. „Man lebt mit dem Rhythmus der Trauben, wird bestimmt von ihm”, sagt sie. Die Weingärten wurden über Generationen immer weitervererbt. Was für Marias Eltern aber noch selbstverständlich schien – die Übernahme des Betriebs – stellte die heute 30-jährige Tochter in Frage. Sie ist nach Wien gezogen, hat Genetik studiert und wochenlang Urlaub am Meer gemacht. Noch führen ihre Eltern das Weingut. Sie wissen aber, dass es ein Ablaufdatum hat: Sobald sie es körperlich nicht mehr schaffen, werden sie es verkaufen müssen. So wie viele ihrer Winzerkolleg:innen auch.

Betrachtet man die Zahlen der Statistik Austria, so ist ganz klar ein Trend erkennbar: Die Anzahl der Weinbaubetriebe nimmt seit Jahrzehnten stark ab. Gleichzeitig blieb die Gesamtfläche der Weingärten relativ konstant beziehungsweise sank nur leicht – was bedeutet, dass immer weniger Winzer:innen immer mehr Fläche bewirtschaften. Die durchschnittliche Fläche pro Betrieb wuchs konkret von 1,28 Hektar im Jahr 1987 auf 4,35 Hektar im Vorjahr.

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„Kleine Nebenerwerbsbetriebe und reine Traubenproduzenten wurden weniger, professionelle, leistungsstärkere Betriebe dafür mehr”, sagt dazu Johanna Weiß von der Österreich Weinmarketing GmbH. Warum? Ein Grund dafür sei, dass der Weinbau an sich ein hochprofessioneller Betriebszweig geworden sei. „Heutzutage bedeutet Winzer- oder Winzerin-Sein nicht mehr nur, Kompetenzen ausschließlich im Weinbau zu haben. Auch Marketing- und Vertriebsfertigkeiten sind für den wirtschaftlichen Erfolg nötig”, so Weiß zur WZ.

Dazu komme, wie in Marias Fall, dass die Winzer:innen-Kinder den Betrieb der Vorfahren nicht unbedingt weiterführen wollen. Josef Glatt, Direktor des Österreichischen Weinbauverbandes, bestätigt diesen Trend. „Die Kinder wollen nicht im Weingarten stehen und das Ganze im Nebenerwerb machen”, sagt er zur WZ, „das zahlt sich für sie nicht aus.” Die größeren Betriebe, die mehr Fläche haben und dadurch mehr Gewinn herausholen können, übernehmen.

Wer groß ist, kann zum Beispiel auch einen Heurigen betreiben, der ganzjährig geöffnet hat, und in dem es neben dem eigenen Wein warme Speisen gibt – im Gegensatz zur Buschenschank, die ausschließlich kalte Speisen (und den eigenen Wein) anbieten und nur eine gewisse Zeit lang geöffnet sein darf. In Kärnten hatte ein strenges Buschenschankgesetz dazu geführt, dass die Anzahl der Buschenschanken laut Landwirtschaftskammer von 2008 bis 2020 von 125 auf 60 gesunken ist. Das war ein weiterer Stolperstein, der vor allem die kleinen Nebenerwerbsbauern traf. Dem damaligen Gesetz zufolge mussten bis auf wenige Ausnahmen wie Butter, hartgekochte Eier oder Essiggemüse alle Speisen selbst erzeugt werden. Das Kärntner Buschenschankgesetz wurde daraufhin novelliert und gelockert, die Anzahl der Buschenschanken von aktuell rund 50 blieb dennoch auf niedrigem Niveau.

Der Ausschank des heimischen Weines sei allerdings oft der Grund, warum Tourist:innen überhaupt erst nach Österreich kommen, meint Glatt vom Österreichischen Weinbauverband. Vor allem die Wachau und die Steiermark sind für ihren guten Wein bekannt. Um hier ganz vorn mit dabei zu bleiben, muss dieser Wein immer hochwertiger werden – und genau das ist die Chance für jene jungen Winzer:innen, die sich dazu entschließen, den Hof ihrer Eltern doch zu übernehmen. Sie machen es aber meist ganz anders als diese und kaum noch im Nebenerwerb. „Es gibt eine junge, innovative Winzerszene, die viel Zeit in die Ausbildung steckt, studiert und Auslandspraktika absolviert”, sagt Glatt. „Diese jungen Winzerinnen und Winzer versuchen, qualitativ besser zu werden und ihre Ideen am Markt umzusetzen.”

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Betrachtet man den Weinkonsum in Österreich, so deckt sich dessen Entwicklung mit den Veränderungen am Weinmarkt. „Viele Konsumentinnen und Konsumenten sagen: Sie trinken lieber weniger, dafür hochwertigeren Wein”, sagt Glatt: Laut den Zahlen der Statistik Austria ist der Weinkonsum gesunken, und zwar von etwa 35 Liter pro Kopf und Jahr in den 70ern und 80ern auf heute rund 26 Liter. Speziell für Investitionen in die Aufwertung der Qualität gibt es laut Glatt auch Förderungen. Diese kommen hauptsächlich von der EU. Nationale Gelder fließen vor allem, um Jungunternehmer:innen zu unterstützen, und über das österreichische Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) werden Förderungen für Maßnahmen zum Umweltschutz ausgeschüttet.

Müsste sich Österreich selbst mit Wein versorgen, so gäbe es jedenfalls keinen Engpass, denn: „Österreich erzeugt genug Wein”, sagt Glatt. Da aber nicht jeder ausschließlich und immer nur Wein aus Österreich trinken möchte, sondern manchmal auch Abwechslung zum Beispiel aus Italien oder Spanien braucht, werde dieser Wein importiert – und heimischer exportiert. So könnte Maria selbst bei ihrem wochenlangen Urlaub am Meer trotz allem Wein aus Österreich trinken, falls sie das wollte. Zu ihrer Entscheidung, den Weingärten der Familie den Rücken zu kehren, steht sie nach wie vor. „Wenn ich in meinem weißen Mantel als Genetikerin im Labor stehe, fühle ich mich zuhause – im Weingarten der Familie war ich das nicht.”

QOSHE - Großbauern schlucken Weingärten - Petra Tempfer
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Großbauern schlucken Weingärten

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16.11.2023

Schon als Kind musste Maria Trauben pflücken, während ihre Freund:innen Party machten. Wenn sie im Weingarten in einem kleinen Ort in der Nähe von Krems in Niederösterreich stand, träumte sie von einem Leben in der Großstadt. Wenn sie beim Ausliefern des Weines half, lag sie in Gedanken am Strand in einem wochenlangen Urlaub am Meer. In Marias Familie war das nie möglich, denn sie sind Weinbauern und kümmern sich rund um die Uhr um den Betrieb. „Man lebt mit dem Rhythmus der Trauben, wird bestimmt von ihm”, sagt sie. Die Weingärten wurden über Generationen immer weitervererbt. Was für Marias Eltern aber noch selbstverständlich schien – die Übernahme des Betriebs – stellte die heute 30-jährige Tochter in Frage. Sie ist nach Wien gezogen, hat Genetik studiert und wochenlang Urlaub am Meer gemacht. Noch führen ihre Eltern das Weingut. Sie wissen aber, dass es ein Ablaufdatum hat: Sobald sie es körperlich nicht mehr schaffen, werden sie es verkaufen müssen. So wie viele ihrer Winzerkolleg:innen auch.

Betrachtet man die Zahlen der Statistik Austria, so ist ganz klar ein Trend erkennbar: Die Anzahl der Weinbaubetriebe nimmt seit Jahrzehnten stark ab. Gleichzeitig blieb die Gesamtfläche der Weingärten relativ konstant beziehungsweise sank nur leicht – was bedeutet, dass immer weniger Winzer:innen immer mehr Fläche bewirtschaften. Die durchschnittliche Fläche pro Betrieb wuchs konkret von 1,28 Hektar im Jahr 1987 auf 4,35........

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