Essen Es sieht so aus, als bräuchten wir ein neues Wunder von Bethlehem. Wie wir jenseits der Welt-Nachrichten miteinander umgehen sollten.

Es sieht ganz so aus, als bräuchten wir ein neues Wunder von Bethlehem. Besonders für Bethlehem und die Landstriche drumherum. Es kamen ja auch Kinder in Windeln ums Leben. Dass ausgerechnet hier, wo drei Weltreligionen entstanden, ein Friede, der diesen Namen verdient, weiter denn je entfernt zu sein scheint, weckt Zweifel am Glauben. Die grausamen Nachrichten dieses Jahres, dieser Zeit machen es nicht gerade einfacher, noch an eine frohe Botschaft zu glauben. Im Gegenteil: Der Schutzmantel für unser Seelenkostüm muss eigentlich täglich immer dicker werden angesichts dessen, was aus der Welt zu hören und zu sehen ist.

Umso vorsichtiger, rücksichtsvoller, nachsichtiger sollten wir wohl untereinander sein, wenn wir diesen Schutzmantel in den kommenden Tagen an der heimischen Garderobe abgeben oder der von Verwandten und Freunden. Die Welt da draußen wird uns eher noch enger mit vertrauten Menschen zusammenrücken lassen als sonst. Wenn wir uns geborgen fühlen wollen und uns öffnen, werden wir unweigerlich verletzlicher. Das ist, wie alle wissen, nicht ungefährlich für den Familienfrieden.

Aber gerade in diesen Tagen wird uns kaum etwas mehr wärmen als das Gefühl: Ja doch, Menschen können, selbst wenn es da draußen in der Welt leider oft anders aussieht, sehr wohl miteinander auskommen. Es erfordert allerdings Respekt, den man auch übersetzen könnte in Rücksicht, Vorsicht und Nachsicht. Dass wir in dieser Art, miteinander umzugehen, etwas aus der Übung gekommen sind, hat selbstverständlich mit unserem Alltag zu tun. Also damit, wie wir im nicht mehr ganz so jungen 21. Jahrhundert wirtschaften und kommunizieren. Vielleicht macht das Festtage wie diese, an denen wir uns ausklinken, anderes erfahren können, umso wertvoller.

Dabei haben wir in den vergangenen Jahren doch schmerzhaft lernen müssen, wie wenig selbstverständlich das alles ist, was wir zuvor kaum der Rede wert fanden: Geschützt zu sein vor gefährlichen Krankheiten und noch gefährlicheren Kriegen. Sich frei bewegen zu können, zu Verwandten, Freunden und Konzerten oder in den Urlaub. Eine warme, trockene Wohnung zu haben, in der das einzige fließende Wasser aus dem Kran kommt anstatt durch die Tür. Nicht, dass wir gleich in tiefster Demut versinken sollten – aber das schätzen, was wir haben; froh zu sein darüber, was uns erspart bleibt. Und die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen: Rücksicht, Vorsicht und Nachsicht.

Im Advent haben Politessen in Moers am Westrand des Ruhrgebiets „Weihnachtsknöllchen“ verteilt. Bei kleineren Verstößen wie abgelaufenen Parktickets oder einer vergessenen Parkscheibe klemmten sie keine barsche Zahlungsaufforderung unter den Scheibenwischer, sondern folgenden Text: „Ho Ho Ho… das war knapp! Auch zur Weihnachtszeit gilt die Straßenverkehrsordnung. Wahrscheinlich haben Sie aufgrund des ganzen vorweihnachtlichen Stresses nicht daran gedacht und deshalb Ihr Fahrzeug verkehrswidrig abgestellt. Heute sehen wir von einer Anzeige bzw. einer Geldbuße ab. Das Team der Verkehrsraumüberwachung wünscht eine frohe Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!“ Der Straf-Betrag wurde auf „0,00 Euro“ festgesetzt. Geht doch!, denkt man da – und dass die erzieherische Wirkung einer solchen freundlichen, augenzwinkernden Ermahnung wahrscheinlich nicht kleiner ist als die eines klassischen Knöllchens.

Vielleicht ist die Weihnachtszeit die Zeit, um Dinge im Kleinen auszuprobieren, die uns im Großen viel weiter bringen würden. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass die Weihnachtsgeschichte ja nur der Anfang einer größeren war. In der es auch eine Bergpredigt gab, mit der recht radikalen Idee, seine Feinde zu lieben. Fürs Erste aber könnte es an Weihnachten ja reichen, es mit Rücksicht, Vorsicht und Nachsicht für unsere Nächsten zu versuchen. Mit Respekt voreinander und, ja, Liebe. Das wäre kein Wunder. Aber zweifelsohne ein Anfang.

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QOSHE - Zu Weihnachten: Der Anfang einer großen Geschichte - Jens Dirksen
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Zu Weihnachten: Der Anfang einer großen Geschichte

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24.12.2023

Essen Es sieht so aus, als bräuchten wir ein neues Wunder von Bethlehem. Wie wir jenseits der Welt-Nachrichten miteinander umgehen sollten.

Es sieht ganz so aus, als bräuchten wir ein neues Wunder von Bethlehem. Besonders für Bethlehem und die Landstriche drumherum. Es kamen ja auch Kinder in Windeln ums Leben. Dass ausgerechnet hier, wo drei Weltreligionen entstanden, ein Friede, der diesen Namen verdient, weiter denn je entfernt zu sein scheint, weckt Zweifel am Glauben. Die grausamen Nachrichten dieses Jahres, dieser Zeit machen es nicht gerade einfacher, noch an eine frohe Botschaft zu glauben. Im Gegenteil: Der Schutzmantel für unser Seelenkostüm muss eigentlich täglich immer dicker werden angesichts dessen, was aus der Welt zu hören und zu sehen ist.

Umso vorsichtiger, rücksichtsvoller, nachsichtiger sollten wir wohl untereinander sein, wenn wir diesen Schutzmantel in den kommenden Tagen an der heimischen Garderobe abgeben oder der von Verwandten und Freunden. Die Welt da draußen wird uns eher noch enger mit vertrauten Menschen zusammenrücken lassen als sonst. Wenn wir uns........

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