Artikel vom 06.04.2024

Mindestens 400 Polizisten in Deutschland sollen rechtsextrem sein — anstatt diese Mutmaßung kritisch einzuordnen, liefern viele Medien dem Staat Munition, um härter durchzugreifen. Über eine Meldung und ihre Instrumentalisierung.

Gegen mehr als 400 Polizisten in Deutschland laufen Disziplinar- und Ermittlungsverfahren, weil sie rechtsextrem sein oder Verschwörungstheorien anhängen sollen. Dies las man am Donnerstag in nahezu allen Medien. Die Berichterstattung darüber ist ein Paradebeispiel für unkritischen Journalismus, der die Regierung bei der Verunglimpfung der Opposition unterstützt.

Die Argumentation von Medien und Regierungsvertretern läuft dabei teils Hand in Hand. In einem ersten Schritt wird der Verdacht umgewandelt in einen scheinbaren Tatbestand. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) etwa spricht in ihrem Statement gegenüber der ARD-Tagesschau nicht mehr von "Verdachtsfällen", sondern von "Fällen von Extremismus". Beim Bundespolizeibeauftragten Uli Grötsch (SPD) klingt das in derselben Sendung so: "Mehr als 400 Fälle, das ist mehr als 400 Mal akuter Handlungsbedarf. Extremistisches Gedankengut hat im öffentlichen Dienst (...) nichts zu suchen."

Verdachtsfälle werden also als Belege für eine Radikalisierung innerhalb der Polizei gewertet. Dabei könnte eine hohe Zahl von Verdachtsfällen theoretisch auch dadurch entstanden sein, dass ein Klima des Verdachts herrscht. Diese Möglichkeit wird jedoch gar nicht erst erwähnt.

Worum handelt es sich etwa bei den "Verschwörungstheorien", die Grund für einige der Disziplinar- und Ermittlungsverfahren sein sollen? Darüber erfahren wir in keinem der Medienberichte etwas.

Während der Pandemie beispielsweise galten völlig legitime Meinungen als "Verschwörungstheorien". Auf der Website der staatlich finanzierten Bundeszentrale für politische Bildung ist noch immer ein Artikel online, laut dem man Verschwörungstheoretiker ist, wenn man sich nicht so oft die Hände wäscht. Das Programm "Demokratie leben" des Familienministeriums wiederum bewirbt auf seiner Seite noch immer ein Video, in dem ein allgemeiner Impfzwang als Mythos dargestellt wird.

Es gebe "keine derartigen Überlegungen der Regierung im Zuge der Corona-Krise", heißt es in dem Video aus dem November 2020. Dabei setzten sich Teile der Bundesregierung ein Jahr später vehement für eine solche allgemeine Impfpflicht ein. Zudem erfährt man im Video als Indiz dafür, dass der Impfzwang eine Verschwörungstheorie sei: "Experten gehen davon aus, dass es noch sehr lange dauert, bis ein Impfstoff entwickelt ist." Auch diese Annahme stellte sich später als falsch heraus.

Der Bergriff der "Verschwörungstheorie" ist also extrem schwammig und kann dafür verwendet werden, unliebsame Meinungen zu diffamieren. Ist dies im Falle der polizeiinternen Disziplinarverfahren geschehen? Wir wissen es nicht.

Gerade deshalb sollten Journalisten mit Vorsicht reagieren, wenn die Sicherheitsbehörden ihren Mitarbeitern vorwerfen, "Verschwörungstheorien" zu vertreten. Das Gegenteil aber geschieht: Viele Medien nutzen die Schwammigkeit des Begriffs, um das Klima des Verdachts anzuheizen.

Die Tagesschau lässt den Experten Tobias Singelnstein zu Wort kommen, der bereits das Bedürfnis nach "Hierarchie" sowie "Recht und Ordnung" in einem verdächtigen Licht erscheinen lässt. Gegenüber dem Stern erklärt Professor Rafael Behr, dass Radikalisierung sich etwa darin zeige, dass Polizisten lieber Liegestützen machten als Demokratie- oder Antirassismuskurse zu besuchen. Weiter zitiert der Stern Professor Behr wie folgt: „Wer als Polizist im sozialen Brennpunkt im Einsatz sei, viel mit eingewanderten Straftätern zu tun habe und dann noch mit den falschen Kollegen arbeite, bei dem könnten sich Klischees und Vorurteile festigen.“

Nachdem also Experten durch Medien so ausgewählt wurden, dass legitime Einstellungen als Anzeichen einer Radikalisierung gewertet werden können, dürfen Politiker ungestört die Gelegenheit nutzen, um die Opposition auf undemokratische Weise zu schwächen.

Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) etwa spekuliert öffentlich, ob man als AfD-Mitglied bald seinen Job im öffentlichen Dienst verlieren könnte. Er nutzt also seine Position als Teil der Regierung, um Anhänger des politischen Gegners einzuschüchtern. Der Bundespolizeibeauftragte Grötsch will Entscheidungen des Verfassungsschutzes gar nicht erst abwarten und urteilt eigenmächtig, dass AfD-Unterstützer nicht das Gewaltmonopol des Staates ausüben könnten — auch hier eine Einschüchterung der Opposition durch die Regierung. Grötsch sehe es „grundsätzlich kritisch, wenn Polizeibeamte Mitglied in der AfD sind“, berichtet der Stern.

Experte Hajo Funke hat offenbar übersinnliche Fähigkeiten und kann dem Magazin schon jetzt voraussagen, dass „in dem Maße, in dem der Einfluss der Partei (AfD) steige, auch die Bereitschaft der Anhänger zunehme, auf Gewalt zu setzen." Derweil nehmen auch die Grünen die Meldung zum Anlass, um die Daumenschrauben anzuziehen: Ein strengeres Disziplinarrecht auf Länderebene soll her, wie die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic bei RND fordert.

Was bleibt von solch einer Berichterstattung hängen? Vor allem eine scheinbare Notwendigkeit, staatlich noch härter durchzugreifen, um Polizisten auf die richtige Gesinnung zu überprüfen und auf politisch erwünschtem Kurs zu halten.

Dabei wäre es für Journalisten ebenso dringend geboten, zu überprüfen, ob die Polizeibehörden mit ihren internen Ermittlungen nicht übertreiben. Und herauszuarbeiten, wie undemokratisch es ist, wenn Regierungspolitiker fordern, Anhängern der Opposition den Job zu kündigen.

+++

Von Pauline Voss ist vor wenigen Wochen das lesenswerte Buch „Generation Krokodilstränen. Über die Machttechniken der Wokeness“ (Europa Verlag (Berlin / München / Wien / Zürich), 200 S., geb. m. Schutzumschlag, 22 EUR) erschienen, aus dem wir an dieser Stelle einen viel beachteten Vorabdruck veröffentlicht haben.

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Radikale Polizisten? Wie Medien einen simplen Verdacht befeuern

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06.04.2024

Artikel vom 06.04.2024

Mindestens 400 Polizisten in Deutschland sollen rechtsextrem sein — anstatt diese Mutmaßung kritisch einzuordnen, liefern viele Medien dem Staat Munition, um härter durchzugreifen. Über eine Meldung und ihre Instrumentalisierung.

Gegen mehr als 400 Polizisten in Deutschland laufen Disziplinar- und Ermittlungsverfahren, weil sie rechtsextrem sein oder Verschwörungstheorien anhängen sollen. Dies las man am Donnerstag in nahezu allen Medien. Die Berichterstattung darüber ist ein Paradebeispiel für unkritischen Journalismus, der die Regierung bei der Verunglimpfung der Opposition unterstützt.

Die Argumentation von Medien und Regierungsvertretern läuft dabei teils Hand in Hand. In einem ersten Schritt wird der Verdacht umgewandelt in einen scheinbaren Tatbestand. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) etwa spricht in ihrem Statement gegenüber der ARD-Tagesschau nicht mehr von "Verdachtsfällen", sondern von "Fällen von Extremismus". Beim Bundespolizeibeauftragten Uli Grötsch (SPD) klingt das in derselben Sendung so: "Mehr als 400 Fälle, das ist mehr als 400 Mal akuter Handlungsbedarf. Extremistisches Gedankengut hat im öffentlichen Dienst (...) nichts zu suchen."

Verdachtsfälle werden also als Belege für eine Radikalisierung innerhalb der Polizei gewertet. Dabei könnte eine hohe Zahl von Verdachtsfällen theoretisch auch dadurch entstanden sein, dass ein Klima des Verdachts herrscht. Diese Möglichkeit wird jedoch gar nicht erst........

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