Es wäre das Normalste auf der Welt gewesen, hätte Leverkusen am vergangenen Sonntag im Spiel gegen Bremen den sogenannten Big Point versemmelt. So haben wir sie schließlich kennengelernt: Vizekusen. Diese in der Vergangenheit oft sehr gute Mannschaft, die mit spektakulärem Fußball Richtung Tabellenspitze eilte, am Ende aber stolperte und erlebte, wie die drögen Bayern sich den Titel wie eine lästige Formalität in die Vitrine stellten. "Warum nicht mal Leverkusen?", titelten Sportmagazine tapfer vor jeder Saison, und es wurde stets herzlich gelacht.

Leverkusen als Meister, das schien so realistisch, wie Karl Lauterbach nachts um drei mit Bierhelm im McDonald's in El Arenal zu erwischen. Der Salzverweigerer mit dem Wahlkreis Leverkusen sollte, so schien es, auf Jahre hinaus der Letzte sein, der in dieser Stadt irgendeinen Titel holt – und sei es nur den des Gesundheitsministers.

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Wenn der Begriff der Zeitenwende irgendwo zutreffen sollte, dann in der Bundesliga. Als der Baske Xabi Alonso 2022 den Klub übernahm, war die Werkself gerade mal wieder in akuter Schieflage, und alle gefühlt 17 Fans bundesweit fürchteten den Absturz in Liga zwei. Binnen kurzer Zeit machte der Weltmeister und Champions-League-Gewinner Alonso aus dem Team erst einen Europacup-Teilnehmer und nun den deutschen Meister. Vielleicht tröstet das die Bayern ein wenig: Selbst wenn sie eine gute Saison spielten, was sie nicht tun, hätten sie diesmal keine Chance gegen diese Leverkusener gehabt.

Warum sind sie nur so stark? Nun, das liegt vor allem an einem Trainer, der aus ordentlichen Kickern sehr gute Spieler gemacht hat. Der im Training immer noch einer der Besten am Ball ist, offenkundig die richtige Ansprache findet und als Legende des internationalen Fußballs die nötige Glaubwürdigkeit besitzt, mit allem, was er sagt, zunächst einmal pauschal richtig zu liegen. Ähnlich wie es Zidane als Coach bei Real Madrid erging. Die Königlichen werden sich gedulden müssen, bis Xabi bei ihnen Übungsleiter wird. Der hat nicht nur die profilneurotischen Bayern mit einer Absage auf den Topf gesetzt, sondern halb Europa mit seiner Ansage überrascht, auf der Bank in der BayArena sitzen bleiben zu wollen. Hat man länger nicht erlebt, dass im Profigeschäft jemand nicht dem Ruf des Geldes und der nächstbesseren Anstellung folgt, sondern sich weiter dort sieht, wo der Spaß und die Gestaltungsfreude leben. Toll. Toll. Toll.

Und ist es passiert, dass 20 Jahre nachdem mit Reiner "Calli" Calmund ("wenn die net laufen, dann platzt mir der dicke Wams, dann sag isch Briefmarke auffen Aaasch und ab! Flugsteig A 40, will disch net mehr sehn!") die prägende Figur die Kommandobrücke verlassen hat, sein "Baya Lefferkusen" das Undenkbare schafft und einfach Meister wird. Eine mehr als verdiente Krönung nicht nur einer Saison, sondern auch eine Auszeichnung dafür, dass der Klub die Bundesliga über so lange Zeit mit solch tollen Mannschaften, Trainern und Geschichten versorgt hatte: Sir Erich Ribbeck, Michael Ballack in Unterhaching, der irre Daum im blauen Anzug und der Gang auf den Glasscherben, Calli und Toppi und die dreifachen Tränen von 2002.

Paulo Sérgio, Jorginho, Lúcio und all die Brasilianer, die der FC Bayern ihnen im Kaufrausch später wegholte. Emerson, Berbatow, Bernd "Schnix" Schneider.

Berti Vogts und sein 20-köpfiges Trainerteam. Jens Nowotny, Bernd Schuster, Ulf Kirsten und Rudi Völler. Mein Gott, Rudi Völler. Gebt ihnen alle Titel!

Vizekusen. Mit V wie Vergangenheit.

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Stern des Westens

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18.04.2024

Es wäre das Normalste auf der Welt gewesen, hätte Leverkusen am vergangenen Sonntag im Spiel gegen Bremen den sogenannten Big Point versemmelt. So haben wir sie schließlich kennengelernt: Vizekusen. Diese in der Vergangenheit oft sehr gute Mannschaft, die mit spektakulärem Fußball Richtung Tabellenspitze eilte, am Ende aber stolperte und erlebte, wie die drögen Bayern sich den Titel wie eine lästige Formalität in die Vitrine stellten. "Warum nicht mal Leverkusen?", titelten Sportmagazine tapfer vor jeder Saison, und es wurde stets herzlich gelacht.

Leverkusen als Meister, das schien so realistisch, wie Karl Lauterbach nachts um drei mit Bierhelm im McDonald's in El Arenal zu erwischen. Der Salzverweigerer mit dem Wahlkreis Leverkusen sollte, so schien es, auf Jahre hinaus der Letzte sein, der in dieser Stadt irgendeinen Titel holt – und sei es nur den des Gesundheitsministers.

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen.........

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