Liebe Frau Peirano,

ich bin 26 und Student, würde mich als unkompliziert und recht entspannt beschreiben. Ich bin seit vier Monaten mit einer Holländerin zusammen und wir haben sehr schnell tiefe Gefühle füreinander entwickelt.

Es gibt öfter mal Missverständnisse, aber bisher haben wir immer wieder gut darüber reden können. Und wir sind uns dabei immer näher gekommen, auch wenn wir etwas unterschiedlich sind. Das Einzige, was mich wirklich beunruhigt ist: Sie geht öfter auf Technopartys feiern, gerne auch in Berlin oder Barcelona. Ich weiß, dass sie dann recht viel trinkt. Ob sie auch Ecstasy nimmt, haben wir nicht wirklich besprochen. Sie meinte recht vage: "Nur sehr selten."

Bevor wir zusammen waren, war sie länger Single und hat sich auch "ausgelebt", sie hat öfter in Clubs jemanden kennengelernt und ist dann mit ihm nach Hause gegangen. Gut, ich habe vor ihr auch getindert. Aber damit habe ich natürlich aufgehört.

Sie sagt, dass keinen Sex mit anderen Männern haben würde, weil wir zusammen sind. Aber ich kann ja zwei und zwei zusammenzählen: Weit weg von zu Hause, feiern, trinken, vielleicht Drogen. Da ist die Hemmschwelle natürlich deutlich niedriger. Und wenn was passieren würde, wäre es von ihr ja auch blöd, mir das zu sagen, weil es dann Stress geben würde.

Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Ihr zu sagen, dass sie nicht feiern gehen soll, ist keine Lösung. Ich finde Freiheit sehr wichtig. Allerdings bin ich der Meinung, dass Monogamie auch wichtig ist und man vorher darüber sprechen sollte, wenn man das ändern will. Ich will ihr auch nichts unterstellen oder sie verdächtigen. Ich möchte aber auf keinen Fall für dumm verkauft werden, also Verständnis dafür haben, dass sie feiern geht und dann nutzt sie das aus und hat was mit anderen Männern, ohne mir das zu erzählen.

Ich dreh mich an der Stelle wirklich im Kreis. Vielleicht ist noch wichtig zu sagen, dass für sie Freiheit sehr wichtig ist und sie sich nicht einengen lassen will. Sie weicht immer aus oder verzögert es, wirklich mal in Ruhe und im Detail darüber zu reden. Und jetzt gerade ist sie drei Wochen in Asien (auch in Goa), auch zum Feiern.

Wir telefonieren jeden Tag, aber manchmal ist auch klar, dass sie verkatert ist und ich mag dann auch nicht so kontrollierend rüberkommen und fragen, ob sie was mit jemandem hatte. Mich nervt das schon sehr.

Was haben Sie für Ansätze?

Viele Grüße
Tim J.

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben.

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Lieber Tim J.,

ich habe mich gerade mal in Ihre Lage versetzt und mir vorgestellt, dass ich in jemanden verliebt wäre, der so einen großen Freiheitsdrang hat, was bedeutet, dass er gerne feiert, trinkt und eventuell Drogen nimmt. Und für den bisher One-Night-Stands zu dem Paket ganz unkompliziert dazugehören bzw. bis vor Kurzem dazugehört haben.

Das hat sich nicht gut angefühlt! Ich kann Ihre Verunsicherung also gut nachempfinden, und auch Ihren Ärger darüber, dass Sie Ihre Freundin in diesem Thema nicht wirklich erreichen können mit Ihren Sorgen und Bedürfnissen.

Ich beobachte häufig, dass Beziehungen heutzutage anders entstehen und nach anderen Spielregeln laufen als das früher der Fall war. Ein wichtiger Unterschied: Früher (also vor 1–2 Generationen) lernte man sich erst kennen, dann ging man irgendwann miteinander ins Bett. Heute geht man erst eine Weile miteinander ins Bett, und zwar meistens recht früh nach dem Kennenlernen, und dann überlegt man (oder eiert auch herum), ob man nun zusammen ist oder nicht. Oft wird betont, dass man "Dinge auf sich zukommen lassen" oder "nichts überstürzen will".

In der Regel sind die Frauen in diesem Arrangement sehr gestresst, lassen sich das aber nicht anmerken. Sie wollen sich eigentlich fest binden, haben aber Angst, das offen zuzugeben, weil sie den Partner nicht verschrecken wollen. Wenn die beiden sich nach einer Weile dann als Paar sehen, frage ich manchmal nach: "Und was heißt das jetzt genau?" Meistens ernte ich verwirrte Blicke und es stellt sich heraus, dass viele Spielregeln (die früher selbstverständlich waren), immer noch nicht klar sind und es immer noch genug Raum für Missverständnisse und Verletzungen gibt.

Früher wäre es selbstverständlich gewesen, empört und sauer zu sein, wenn der Partner/die Partnerin sich in Situationen begibt, in denen es zu Untreue kommen könnte. Heute fällt es vielen schwer zu sagen: Das geht mir zu weit und dazu stehe ich auch. Es besteht also eigentlich ein unausgesprochener Zwang zur Toleranz und zur Akzeptanz, der häufig zu innerem Stress und zu Bauchschmerzen führt. So wie bei Ihnen.

Die unendliche Freiheit heute hat natürlich viele Vorteile. Keiner muss mehr verbergen, homosexuell (oder bisexuell) zu sein. Es ist gesellschaftlich anerkannt, sich sexuell frei auszuleben (mittlerweile auch für Frauen) und sich auszuprobieren. Keiner muss sich binden, keiner muss eine Familie gründen. Und zum Glück muss auch keiner mehr jahrzehntelang in einer unglücklichen Ehe ausharren wie unsere Großeltern es oft getan haben.

Aber viele Menschen, die nicht einfach das alte Standardrezept für eine Beziehung (wie es früher die Norm war) aus der Schublade holen und nachleben wollen, sondern etwas Neues, für sich wirklich Passendes entwickeln wollen, müssen dafür sehr viel tun. Sie müssen reden, reden und reden. Alles aushandeln, besprechen, Kompromisse und Absprachen finden, sich und seine Gefühle erklären, Lösungen für Situationen finden. Die Notwendigkeit für diese Mühe wird oft vergessen oder es wird an der Stelle geschludert. Eine offene Beziehung (oder eine mit außergewöhnlichen Freiheiten wie drei Wochen feiern in Goa mit Alkohol und ggf. Drogen) zu führen, ist viel komplizierter als eine monogame Beziehung, weil vorher und währenddessen immer wieder ein Konsens gefunden werden muss, der sich in dem Moment für beide gut anfühlt.

Wenn Ihre Freundin gerne feiern geht und Sie sich deswegen – berechtigterweise – verunsichert und auch etwas verschaukelt fühlen, dann ist es nötig, darüber zu reden, zu reden und noch mal zu reden. Das ist der Preis für die Freiheit. Sich die Freiheit einfach zu nehmen und dem anderen zu signalisieren, dass es einen nichts angeht, wenn er damit Probleme hat, ist keine Kooperation. Die Grundlagen für eine gelingende Beziehung sind Vertrauen und Kooperation.

Konkret würde ich Ihnen empfehlen, darum zu bitten, dass Ihre Freundin Ihnen erzählt, was sie mit feiern meint. Worum geht es ihr genau beim Feiern? Wie erlebt sie die Abende in den Clubs? Geht es ihr ums Tanzen, sich frei und entspannt zu fühlen? Oder darum, Anerkennung von anderen Männern zu bekommen? Wie empfindet sie es, wenn sie angesprochen oder "angemacht" wird? Wie verhält sie sich und wo sieht sie eine Grenze?

Wie weit geht das für sie, nimmt sie auch Drogen? Trinkt sie so viel, dass sie die Kontrolle verliert? Was würde sie machen, wenn sie mit jemandem betrunken "abstürzt"? Wie geht sie auf Nummer sicher, dass es nicht passiert? Würde sie es Ihnen garantiert sagen? Wenn sie sagt, dass es ihr nicht passieren würden: Warum ist sie so sicher? Wie kann sie Ihnen etwas Sicherheit geben auf die Distanz Goa-Deutschland? Soll sie sich nachts melden und Ihnen erzählen, wie der Abend war? Oder verunsichert es Sie noch mehr, wenn Ihre Freundin betrunken (oder unter Einwirkung von Ecstasy) ist und Sie dann anruft?

Ich würde es so sehen: Wer ungewöhnliche Freiheiten in einer Beziehung will, der muss auch dafür sorgen, dass der Partner/die Partnerin sich damit sicher und wohl fühlt und Vertrauen hat. Ansonsten ist es keine Kooperation, sondern ein Ego-Trip. Hier würde ich Ihnen ganz klar empfehlen, auf ein wirklich klärendes Gespräch (oder realistischer gedacht einen Klärungsprozess) zu pochen, damit Sie beide sich wohl fühlen.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

QOSHE - Meine neue Freundin geht gerne feiern und trinken. Ich habe Angst, dass sie dann was mit anderen Männern hat - Dr. Julia Peirano
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Meine neue Freundin geht gerne feiern und trinken. Ich habe Angst, dass sie dann was mit anderen Männern hat

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09.01.2024

Liebe Frau Peirano,

ich bin 26 und Student, würde mich als unkompliziert und recht entspannt beschreiben. Ich bin seit vier Monaten mit einer Holländerin zusammen und wir haben sehr schnell tiefe Gefühle füreinander entwickelt.

Es gibt öfter mal Missverständnisse, aber bisher haben wir immer wieder gut darüber reden können. Und wir sind uns dabei immer näher gekommen, auch wenn wir etwas unterschiedlich sind. Das Einzige, was mich wirklich beunruhigt ist: Sie geht öfter auf Technopartys feiern, gerne auch in Berlin oder Barcelona. Ich weiß, dass sie dann recht viel trinkt. Ob sie auch Ecstasy nimmt, haben wir nicht wirklich besprochen. Sie meinte recht vage: "Nur sehr selten."

Bevor wir zusammen waren, war sie länger Single und hat sich auch "ausgelebt", sie hat öfter in Clubs jemanden kennengelernt und ist dann mit ihm nach Hause gegangen. Gut, ich habe vor ihr auch getindert. Aber damit habe ich natürlich aufgehört.

Sie sagt, dass keinen Sex mit anderen Männern haben würde, weil wir zusammen sind. Aber ich kann ja zwei und zwei zusammenzählen: Weit weg von zu Hause, feiern, trinken, vielleicht Drogen. Da ist die Hemmschwelle natürlich deutlich niedriger. Und wenn was passieren würde, wäre es von ihr ja auch blöd, mir das zu sagen, weil es dann Stress geben würde.

Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Ihr zu sagen, dass sie nicht feiern gehen soll, ist keine Lösung. Ich finde Freiheit sehr wichtig. Allerdings bin ich der Meinung, dass Monogamie auch wichtig ist und man vorher darüber sprechen sollte, wenn man das ändern will. Ich will ihr auch nichts unterstellen oder sie verdächtigen. Ich möchte aber auf keinen Fall für dumm verkauft werden, also Verständnis dafür haben, dass sie feiern geht und dann nutzt sie das aus und hat was mit anderen Männern, ohne mir das zu erzählen.

Ich dreh mich an der Stelle wirklich im Kreis. Vielleicht ist noch wichtig zu sagen, dass für sie Freiheit sehr wichtig ist und sie sich nicht einengen lassen will. Sie weicht immer aus oder verzögert es, wirklich mal........

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