Eigentlich haben Lehrpersonen und Bildungsdirektoren ja dasselbe Ziel: die Kinder möglichst gut zu bilden. Wieso nur regt man sich als Lehrperson regelmässig auf, wenn man Interviews von kantonalen Bildungsdirektorinnen und -direktoren liest? Im Folgenden einige Aussagen zum Lehrermangel, welche Lehrpersonen nicht mehr hören können.

«Die Situation wird dramatischer dargestellt, als sie ist.» So schlimm ist es nun auch wieder nicht! Schliesslich steht anfangs Schuljahr in jedem Klassenzimmer eine Lehrperson. Nun ja. In einer aktuellen Umfrage im Kanton St. Gallen bezeichnen 30 Prozent der Gemeinden die Rekrutierungssituation als «alarmierend». Für weitere 50 Prozent ist die Situation «ziemlich angespannt». Folge: Die Schulleitungen gehen immer grössere Kompromisse ein. Die Zahl der Lehrkräfte ohne Diplom steigt jedes Jahr – ohne Aussicht auf Besserung. Die Bildungsdirektoren-Rhetorik dazu: «Nicht jede Anstellung entspricht den Wunschvorstellungen.»

«Lehrdiplome sind keine Garantie für guten Unterricht.» Auch Ungelernte können gute Lehrpersonen sein! Nun ja, im Einzelfall ist das denkbar. Doch wie wahrscheinlich ist es? Wenn Sie den grauen Star operieren lassen: Gehen Sie zum Augenarzt oder zum Glaser? Wenn Sie in ein Flugzeug steigen: Lieber eine Pilotin mit Flugausbildung oder der Modellflugzeug-Bastler von nebenan? Eben. Und wenn’s auch ohne Diplom geht: Weshalb leisten wir uns den Luxus der Pädagogischen Hochschulen?

«Auch andere Branchen sind vom Fachkräftemangel betroffen.» Denken wir zum Beispiel an den Schuhladen, der neuerdings bereits um 18 Uhr schliesst. Oder die Bäckerei, die am Sonntagmorgen zu bleibt! Auch da: Fachkräftemangel – und niemand beklagt sich. Fragt sich, was wichtiger ist: Warme Gipfeli aus der Bäckerei oder eine umfassende Bildung unserer Kinder.

«Lohnerhöhungen bringen nichts.» Was tut ein Unternehmer, wenn er keine Arbeitskraft findet? Er erhöht den Lohn, um attraktiver zu sein. Was zum kleinen Einmaleins der Ökonomie gehört, leuchtet Bildungsdirektoren nicht ein. Lehrperson wird man doch aus innerem Antrieb, aus Freude an der Arbeit! Kann es sein, dass Lehrpersonen keine Ausserirdischen sind, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, denen der materielle Wohlstand nicht komplett egal ist? Ausgeschlossen ist es nicht.

«Die Lehrpersonen tragen eine Mitverantwortung.» Die Lehrpersonen sind also nicht Opfer des Lehrermangels, sondern vielmehr Täter. Denn: Es liegt an ihnen, das Berufsbild zu prägen und so mehr Menschen vom Lehrerberuf zu überzeugen. Anstatt zu jammern, sollen Lehrpersonen gefälligst Lebensfreude verbreiten! Ist das nicht ein bisschen viel verlangt, wenn man sich diese Aussagen von Bildungsdirektoren anhören muss?

Unser Kolumnist wurde als Quereinsteiger zum Lehrer. Hier teilt er seine Beobachtungen zum Schulalltag. In seinem früheren Leben war er Journalist.
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QOSHE - So gehen Bildungschefs den Lehrpersonen auf die Nerven - Roger Braun
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So gehen Bildungschefs den Lehrpersonen auf die Nerven

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02.03.2024

Eigentlich haben Lehrpersonen und Bildungsdirektoren ja dasselbe Ziel: die Kinder möglichst gut zu bilden. Wieso nur regt man sich als Lehrperson regelmässig auf, wenn man Interviews von kantonalen Bildungsdirektorinnen und -direktoren liest? Im Folgenden einige Aussagen zum Lehrermangel, welche Lehrpersonen nicht mehr hören können.

«Die Situation wird dramatischer dargestellt, als sie ist.» So schlimm ist es nun auch wieder nicht! Schliesslich steht anfangs Schuljahr in jedem Klassenzimmer eine Lehrperson. Nun ja. In einer aktuellen Umfrage im Kanton St. Gallen bezeichnen 30 Prozent der Gemeinden die Rekrutierungssituation als «alarmierend». Für weitere 50 Prozent ist die Situation «ziemlich angespannt». Folge:........

© Luzerner Zeitung


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