Karen Toro/REUTERS

Problembehebung des kapitalistischen Staates: »Law and Order« statt sozialer Lösungen (Quito, 9.1.2024)

Mit der Abkehr vom linken Projekt der Bürgerrevolution begann 2017 der Abstieg Ecuadors. In nur sieben Jahren trug die neoliberale Politik unter den Präsidenten Lenín Moreno und Guillermo Lasso maßgeblich dazu bei, eines der sichersten Länder Lateinamerikas in das mit der höchsten Mordrate in der Region zu verwandeln. Die Zahl der Getöteten hat sich von rund 4.600 im Jahr 2022 bis zum 17. Dezember vergangenen Jahres laut Statistik auf 7.497 erhöht. Nahezu jede Stunde stirbt heute in Ecuador ein Mensch durch kriminelle Gewalt.

Deren Nährboden ist ein Sumpf aus Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Korruption, den der Bankier Lasso seinem Nachfolger, dem im Oktober 2023 gewählten Bananenunternehmer Daniel Noboa, hinterlassen hatte. Während die Armut unter den von Expräsident Rafael Correa geführten linken Regierungen zwischen 2007 und 2017 um rund 40 Prozent zurückging, die Löhne stiegen, der unentgeltliche Besuch von Bildungseinrichtungen und eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle eingeführt wurden, verfolgten Moreno und Lasso eine andere Politik. Als Ergebnis machte die informelle Arbeit 2023 wieder mehr als 50 Prozent der Wirtschaft aus. Viele junge Menschen sahen in der Kriminalität eine Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen, und schlossen sich Banden an, die im Drogenhandel aktiv sind. »Um die Gewalt zu bekämpfen, müssen wir zunächst Armut und Arbeitslosigkeit bekämpfen«, hatte sich der rechtskonservative neue Staatschef Noboa bei seinem Amtsantritt einsichtig gezeigt. Nur dann, erklärte er, könne das Land »aus dem Zustand des Elends, der Gewalt und der Vernachlässigung herauskommen, in dem wir leben«.

Allerdings übernahm er von Lasso einen Staatsapparat, der in Teilen bereits von Drogenkartellen kontrolliert wird. »Das organisierte Verbrechen hat den Staat infiltriert, sowohl die Regierung und das Justizsystem als auch die Politik und die Sicherheitskräfte«, hatte Expräsident Rafael Correa bereits vor einem Jahr gewarnt. Und auch Noboa ist ein Vertreter der oligarchischen Interessen, die Ecuador seit langem kontrollieren. Angesichts der aktuellen Eskalation der Gewalt hat Correa sich trotzdem mit einer Botschaft an die Nation gewandt, in der er die vom Präsidenten angekündigten Maßnahmen unterstützt und zur Einheit aller politischen Kräfte des Landes und des Volkes aufruft. Da Noboas Amtszeit – entsprechend der seines zurückgetretenen Vorgängers – bereits im Mai 2025 wieder endet, geschah dies vermutlich auch im Hinblick auf die nächsten Wahlen im kommenden Jahr. Schon jetzt stellt die von Correa gegründete linke »Revolución Ciudadana« (RC) die stärkste Fraktion in der Nationalversammlung. Sollte Noboa an der Sisyphosaufgabe scheitern und die Gewalt nicht eindämmen können, stehen die Chancen gut, dass Ecuador im kommenden Jahr wieder einen progressiven Präsidenten bekommt.

QOSHE - Land ruiniert - Volker Hermsdorf
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Land ruiniert

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10.01.2024

Karen Toro/REUTERS

Problembehebung des kapitalistischen Staates: »Law and Order« statt sozialer Lösungen (Quito, 9.1.2024)

Mit der Abkehr vom linken Projekt der Bürgerrevolution begann 2017 der Abstieg Ecuadors. In nur sieben Jahren trug die neoliberale Politik unter den Präsidenten Lenín Moreno und Guillermo Lasso maßgeblich dazu bei, eines der sichersten Länder Lateinamerikas in das mit der höchsten Mordrate in der Region zu verwandeln. Die Zahl der Getöteten hat sich von rund 4.600 im Jahr 2022 bis zum 17. Dezember vergangenen Jahres laut Statistik auf 7.497 erhöht. Nahezu jede Stunde stirbt heute in Ecuador ein Mensch durch kriminelle Gewalt.

Deren Nährboden ist ein Sumpf aus Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit........

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