REUTERS/Ahmed Zakot

Khan Junis am Mittwoch

Knapp zwei Monate nach Kriegsbeginn samt einer einwöchigen Feuerpause, um entführte israelische Frauen und Kinder gegen palästinensische Gefangene auszutauschen, sind die Gewaltaktivitäten wieder in vollem Gange. Israel hat den »zweiten Teil« der kriegerischen Operation begonnen, die zum Ziel hat, die Hamas militärisch wie politisch ein für allemal zu liquidieren und die restlichen Entführten zu befreien. Um im südlichen Teil des Gazastreifens frei operieren zu können, wird die in den ersten Kriegswochen aus dem Norden dorthin gedrängte palästinensische Zivilbevölkerung nunmehr gezwungen, in ein enges Areal im südlichen Gaza zu flüchten, um sich vor den rücksichtslosen israelischen Bombardements zu retten. Die Lebensbedingungen dieser Flüchtlinge im eigenen Land sind katastrophal. Eine furchtbare humanitäre Krise bedroht die Menschen, die den Tausenden von Palästinensern, unter ihnen unzählige Frauen und Kinder, die das israelische Militär bisher »kollateral« getötet hat, noch viele Opfer hinzufügen dürfte. Dass die Hamas militärisch unterlegen ist, steht ganz außer Frage. Dass ihre Führer meinen, den Kampf dennoch unbeirrt fortsetzen zu sollen, gehört wohl zu ihrem Verständnis von »Sieg«: der israelischen Übermacht trotz der eigenen Katastrophe widerstanden zu haben.

Der 7. Oktober hat Israel einen präzedenzlosen Schock versetzt. Das terroristische Massaker hat sich auf israelischem Boden ereignet, wobei die Armee, die Geheimdienste und die letztlich verantwortliche Regierungskoalition an jenem Höllentag total versagt haben. Eigentlich Grund genug für eine massive Protestwelle gegen die Regierenden. Aber es hat sich schon über Jahrzehnte in die zivilgesellschaftliche DNA der Israelis eingeschrieben, dass beim Donnern der Kanonen jegliche Form der Kritik zu verstummen habe. Die politische Debatte müsse bis nach dem Krieg vertagt werden. Aber was heißt »nach dem Krieg«? Es liegt im persönlichen Interesse Netanjahus, dass dieser so lange wie möglich andauert, damit er sich keinen Demonstrationen aussetzen muss, mithin auch sein Prozess (und seine Verurteilung) sich immer länger verschiebe. Derweil haben er und sein Umfeld bereits begonnen, perfide und intrigant wie immer, die Schuld am Fiasko des 7. Oktober auf die Sicherheitskräfte abzuwälzen. Er, der sich Politik in Zeiten des Krieges verbietet, setzt alle ihm zur Verfügung stehenden manipulativen politischen Maschinerien in Gang.

Und die israelische Linke? Sie muss sich doch nicht an die Kriegsgebote des Establishments halten. Schon gesinnungsmäßig müsste sie sich über die humanitäre Katastrophe in Gaza empören und die Beendigung des Krieges fordern. Aber abgesehen von einer verschwindenden Minderheit, einige wenige wackere Publizisten eingeschlossen, existiert diese Linke in Israel nicht. Von den verbliebenen, nunmehr »gewendeten« zionistischen Linken ganz zu schweigen. Und die israelischen Palästinenser? Sie wagen sich kaum vor – zu bedrohlich die Repressalien eines Itamar Ben-Gvir, der aus diesem Krieg wohl am deutlichsten gestärkt hervorgehen dürfte.

Prof. Moshe Zuckermann ist ­Soziologe und Historiker. Er lebt in Tel Aviv

QOSHE - In Zeiten des Krieges … - Moshe Zuckermann
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

In Zeiten des Krieges …

1 0
06.12.2023

REUTERS/Ahmed Zakot

Khan Junis am Mittwoch

Knapp zwei Monate nach Kriegsbeginn samt einer einwöchigen Feuerpause, um entführte israelische Frauen und Kinder gegen palästinensische Gefangene auszutauschen, sind die Gewaltaktivitäten wieder in vollem Gange. Israel hat den »zweiten Teil« der kriegerischen Operation begonnen, die zum Ziel hat, die Hamas militärisch wie politisch ein für allemal zu liquidieren und die restlichen Entführten zu befreien. Um im südlichen Teil des Gazastreifens frei operieren zu können, wird die in den ersten Kriegswochen aus dem Norden dorthin gedrängte palästinensische Zivilbevölkerung nunmehr gezwungen, in ein enges Areal im südlichen Gaza zu flüchten, um sich vor den rücksichtslosen israelischen Bombardements zu retten. Die Lebensbedingungen dieser........

© Junge Welt


Get it on Google Play