Piroschka van de Wouw/REUTERS

Urteil mit Spannung erwartet: Die Richterbank des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag am Freitag

Auf hoher See und vor Gericht ist der Mensch in Gottes Hand, lernen Juristinnen und Juristen seit vielen Generationen im Studium. Aber selbstverständlich spielt bei einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag auch die Politik eine erhebliche Rolle. Der IGH hatte über Sofortmaßnahmen zu entscheiden, die Südafrika gegen Israels Kriegführung im Gazastreifen beantragt hatte. Darunter standen an erster Stelle ein sofortiger Waffenstillstand und die unbehinderte Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Treibstoff und allem sonst noch Nötigen.

Der IGH hat am Freitag seine »mit Spannung erwartete« Entscheidung bekanntgegeben – und alle Beteiligten sehen sich als Gewinner. Das südafrikanische Außenministerium sprach von einem »entscheidenden Sieg für das internationale Rechtssystem« und einem »wichtigen Meilenstein beim Streben nach Gerechtigkeit für das palästinensische Volk«. Der Leiter der politischen Abteilung der Hamas im Ausland, Sami Abu Suhri, bezeichnete den Spruch des Gerichts gegenüber der in London ansässigen Nachrichtenagentur Reuters als »entscheidende Entwicklung«, die dazu beitrage, Israel zu isolieren und »seine Verbrechen im Gazastreifen aufzudecken«. Andererseits wertete Premierminister Benjamin Netanjahu die Tatsache, dass der IGH Israel nicht zur sofortigen Einstellung seiner Kriegführung aufgefordert hat, als Anerkennung seines »Rechts auf Selbstverteidigung«.

In Wirklichkeit ist das Gericht mit seiner Entscheidung der zentralen Frage ausgewichen, ob die israelische Kriegführung völkermordartige Züge hat. Damit ist seine Aufforderung an Israel, »mit allen in seiner Macht liegenden Maßnahmen« dafür zu sorgen, dass seine Streitkräfte dort keinen Genozid begehen, nicht nur machtlos, sondern mangels einer Definition auch substanzlos. Auch die Forderung, dass Israel die Versorgung der Bevölkerung des eingeschlossenen Gebiets mit »dringend benötigten Grunddiensten und humanitärer Hilfe« ermöglichen solle, hilft ohne quantitative Angaben nicht weiter. Schließlich stellt sich die israelische Regierung auf den menschenverachtenden Standpunkt, dass die derzeitige Versorgung ausreichend sei.

Unangenehm könnte für die israelische Seite aber der Auftrag des Gerichts werden, »alle in ihrer Macht liegenden Maßnahmen zu ergreifen«, um die »öffentliche Anstachelung zum Begehen von Völkermord zu verhindern und zu bestrafen«. Gegenwärtig haben dort wilde Hetzer sogar in Regierungspositionen – wie jener Minister, der den Einsatz von Atomwaffen im Gazastreifen forderte – freies Spiel. Auch in diesem Punkt kann die IGH-Entscheidung zwar keine direkte Wirkung entfalten. Sie kann aber zur Verstärkung des internationalen Drucks auf die israelische Regierung genutzt werden.

QOSHE - Machtloser Entscheid - Knut Mellenthin
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Machtloser Entscheid

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26.01.2024

Piroschka van de Wouw/REUTERS

Urteil mit Spannung erwartet: Die Richterbank des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag am Freitag

Auf hoher See und vor Gericht ist der Mensch in Gottes Hand, lernen Juristinnen und Juristen seit vielen Generationen im Studium. Aber selbstverständlich spielt bei einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag auch die Politik eine erhebliche Rolle. Der IGH hatte über Sofortmaßnahmen zu entscheiden, die Südafrika gegen Israels Kriegführung im Gazastreifen beantragt hatte. Darunter standen an erster Stelle ein sofortiger Waffenstillstand und die unbehinderte Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Treibstoff und allem sonst noch........

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