Essen Die Jury zum Unwort des Jahres hat rasch reagiert: „Remigration“ ist durch die Nachricht vom Rechten-Treffen in Potsdam in aller Munde.

Vielleicht ist es der größte Einfluss, den die Rechtsextremen vor allem der AfD schon seit Jahren haben: Erst machen sie Dinge denk-und sagbar, die der politischen Mitte ungeheuerlich erscheinen. Dann reiten sie auf Wörtern und Denkfiguren so lange herum, bis sie der politischen Öffentlichkeit vertraut sind. Ihre politischen Gegner setzen sich zunächst damit auseinander, indem sie sich davon abgrenzen. Aber mit der Zeit bröselt die Brandmauer, zusehends, immer mehr. Und dann beginnen irgendwann auch Christdemokraten darüber nachzudenken, ob man nicht das individuelle Grundrecht auf Asyl abschaffen sollte.

Remigration wirkt unverdächtig, Remigration gibt es, seit es Migration gibt, also Aus- und Einwanderung von Menschen. Tausende von jenen, die in ein fremdes Land kamen, sind wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Im 19. Jahrhundert Deutsche, die in den USA nicht fanden, was sie sich erhofft hatten. Oder weil sie sich nicht akzeptiert fühlten. Oder weil es, 1983 zum Beispiel, eine Rückkehrprämie der Bundesregierung von 10.500 D-Mark für türkische Einwanderer gab.

Solche Fälle von Auswanderer-Rückkehr bezeichnete die Sozialwissenschaft als „Remigration“. Inzwischen hat der Begriff selbst eine Migrationsgeschichte: Er wanderte aus der Wissenschaft in den politischen Begriffs-Vorrat der extremen Rechten. Und dort wäre er vielleicht zunächst einmal geblieben, hätte nicht das Recherche-Netzwerk „Correctiv“ in der vergangenen Woche aufgedeckt, was die Rechte spästens seit ihrem Treffen in Potsdam mit „Remigration“ wirklich meint: organisierte Deportation, Ausweisung, Vertreibung.

Deshalb ist es gut, dass die Jury zum Unwort des Jahres so rasch reagiert hat. „Remigration“ ist ein sprachliches U-Boot der Rechten, das zum Glück enttarnt ist. Und niemand, der nicht ihr Geschäft betreiben will, sollte diesen Blender-Begriff noch benutzen. Sondern sagen, was damit gemeint ist: Organisierte Deportation, Zwangsausweisung, massenhafte Vertreibung.

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„Remigration“ ist ein sprachliches U-Boot der Extremisten

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15.01.2024

Essen Die Jury zum Unwort des Jahres hat rasch reagiert: „Remigration“ ist durch die Nachricht vom Rechten-Treffen in Potsdam in aller Munde.

Vielleicht ist es der größte Einfluss, den die Rechtsextremen vor allem der AfD schon seit Jahren haben: Erst machen sie Dinge denk-und sagbar, die der politischen Mitte ungeheuerlich erscheinen. Dann reiten sie auf Wörtern und Denkfiguren so lange herum, bis sie der politischen Öffentlichkeit vertraut sind. Ihre politischen Gegner setzen sich zunächst damit auseinander, indem sie sich davon........

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