Frankfurt am Main. Ein Philosoph hat den Begriff vom „rasenden Stillstand“ geprägt. Eine Situation, die extrem dynamisch ist, sich aber wie das genaue Gegenteil anfühlt. So ähnlich ist es mit den Zinsen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat am Donnerstag verkündet, dass sich bei den Leitzinsen nichts bewegt. Doch zugleich passiert in der Welt um sie herum jede Menge. Die aktuelle Entscheidung ist aber typisch für Zentralbanker, die zu einem Menschenschlag gehören, der Risiken hasst wie die Pest.

Wobei Lagarde nicht immer so war. Vor gut zwei Jahren zeigte sie sich noch ziemlich unbekümmert und naiv. Sie hielt an ihrer Nullzinspolitik fest, um vor allem in den südlichen Ländern der Währungsunion die Konjunktur nicht abzuwürgen und obwohl die Inflation damals heftig zu galoppieren begann. Das war ein schwerer Fehler – nicht nur, weil damit ihre Reputation schweren Schaden nahm. Sie musste in der Folge auch die ganz große Zinskeule herausholen, um die Teuerung wieder einzufangen. Das ist inzwischen weitgehend gelungen.

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Die Inflationsrate nähert sich in großen Schritten dem EZB-Ziel von zwei Prozent. Viele Finanzprofis wetten jetzt darauf, dass es im Juni die ersten Zinssenkungen geben wird. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Denn einerseits besteht eine Rückschlaggefahr durch die relativ stark steigenden Löhne.

Ein anderer Faktor ist aber noch viel wichtiger: Weitsichtige Finanzstrategen schauen jetzt schon in das Jahr 2025 und spielen den Fall durch, dass dann ein gewisser Donald Trump den Posten des US-Präsidenten inne hat, der mit seiner Unberechenbarkeit zum Mega-Risiko für die globale Ökonomie werden kann. Etwa wenn er den höchst komplexen Nahostkonflikt eskalieren lässt. Eine ähnliche Energiekrise mit explodierenden Preisen für Öl und Gas wie in den Jahren 2022/2023 könnte die Folge sein, nebst einer wieder deutlich himmelwärts gerichteten Inflation.

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Fatal wäre, wenn demnächst die Zinsen erst gesenkt und dann nur einige Monate später wieder hochgefahren werden müssen. Genau genommen hat Lagarde – wie es sich gehört für eine Zentralbankerin – deshalb gar keine andere Wahl, als sich jetzt äußerst risikoscheu zu verhalten. Vielleicht sogar länger als es eigentlich notwendig ist. Doch damit steigt zugleich ein anderes Risiko: Dass zu hohe Zinsen die wirtschaftliche Entwicklung in Europa abwürgen. Es ist nicht einfach, in Zeiten eines rasenden Stillstands im richtigen Moment die Bremse zu lösen. Doch genau das macht den Job der Zentralbanker aus.

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Wann sinken die Zinsen? Die EZB steckt im Dilemma eines rasenden Stillstandes

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07.03.2024

Frankfurt am Main. Ein Philosoph hat den Begriff vom „rasenden Stillstand“ geprägt. Eine Situation, die extrem dynamisch ist, sich aber wie das genaue Gegenteil anfühlt. So ähnlich ist es mit den Zinsen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat am Donnerstag verkündet, dass sich bei den Leitzinsen nichts bewegt. Doch zugleich passiert in der Welt um sie herum jede Menge. Die aktuelle Entscheidung ist aber typisch für Zentralbanker, die zu einem Menschenschlag gehören, der Risiken hasst wie die Pest.

Wobei Lagarde nicht immer so war. Vor gut zwei Jahren zeigte sie sich noch ziemlich unbekümmert und naiv. Sie hielt an ihrer Nullzinspolitik fest, um........

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