Frankfurt am Main. Welch ein Tarifkonflikt und welch ein Abschluss. Die Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) haben sich endlich geeinigt: auf eines der komplexesten Vertragswerke in der deutschen Tarif­geschichte. Die Bahnfahrer können sich freuen, dass die Zeit der Unzumutbarkeiten vorbei ist. Die Bahn wird wieder zu einem etwas verlässlicheren Mobilitäts­angebot.

Dass die Beschäftigten in den DB-Betrieben mit GDL-Mehrheit nun deutlich mehr Geld bekommen, wäre früher eine mittelschwere Sensation gewesen, diesmal ist es nur eine Nebensache. Die Hauptsache ist die Arbeitszeit­regelung für Frauen und Männer im Schichtdienst: Möglich ist jetzt für Lokführer oder Zugbegleiter, in mehreren Schritten und über fast fünf Jahre gestreckt die Wochen­arbeitszeit von aktuell 38 auf 35 Stunden zu reduzieren. Bei vollem Lohnausgleich.

Die DB hat 2023 einen Verlust von 2,4 Milliarden Euro eingefahren. Bahnchef Lutz erwartet für dieses Jahr aber wieder bessere Zahlen. Der Manager will zudem die Sanierung des Schienen­netzes forcieren und zugleich die Pünktlichkeit steigern.

Das ist aber nicht zwingend. Die Beschäftigten können zwischen 35 und 40 Stunden wählen: entweder weniger Arbeitszeit oder ein noch einmal richtig kräftiges zusätzliches Plus beim Entgelt. Beschäftigte in einer 40-Stunden-Woche werden so rund 14 Prozent mehr verdienen als in der 35-Stunden-Woche. Was das für den realen Arbeits­einsatz bedeutet, wird sich zeigen. Doch in Bahnkreisen ist schon zu hören, dass der Abschluss für einen größeren Teil der Belegschaften eine gut vergütete Arbeitszeit­verlängerung statt einer Arbeitszeit­verkürzung bringen wird. Das wäre auch ganz im Sinne der Bahn, die beim fahrenden Personal einen massiven Personal­mangel managen muss.

Es konnte nur auf eine derart ausgefuchste Regelung hinauslaufen. Nur so ist es beiden Seiten möglich, das Ergebnis als Erfolg ihren Mitgliedern und der interessierten Öffentlichkeit verkaufen, was in Tarif­konflikten immer die Voraussetzung für eine Einigung ist. Und ganz besonders in diesem Fall. Selten haben sich hierzulande die Kontrahenten derart angefeindet, bis hin zu persönlichen Beleidigungen der Gegenseite, wofür insbesondere der dauerhaft wütende GDL-Chef Claus Weselsky zuständig war. Er hatte zugleich eine enorm hohe Hürde aufgestellt. Er beharrte auf seiner Maximal­forderung von der 35-Stunden-Woche – was eigentlich gar nicht geht.

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Doch DB-Personal­chef Martin Seiler gab es in gleicher Münze zurück und weigerte sich lange Zeit kategorisch, das Wort Arbeitszeit überhaupt in den Mund zu nehmen. Und so kochte der Konflikt stetig und mit Provokationen von beiden Seiten angereichert hoch. Die Leid­tragenden waren die Bahnkunden. In der letzten Eskalations­stufe – den Wellenstreiks – wurde die Beförderung auf der Schiene zum Glücksspiel.

Warum dann überhaupt diese Eskalation? Bahnchef Richard Lutz hat die Antwort vorige Woche auf der DB-Bilanz­presse­konferenz gegeben. Er sagte: „Die Nachfrage ist nicht limitiert.“ So etwas lässt Ökonomen aufhorchen. Die Bahn kann sich einiges erlauben, weil aufgrund ihrer starken Position in der Personen­beförderung ein Korrektiv fehlt. Man beachte nur, wie vergleichsweise geordnet gerade die Tarif­konflikte bei der Lufthansa abgearbeitet werden. Denn es kommt hinzu, dass der DB-Konzern dem Staat gehört und nicht Aktionären, die Erträge für ihr investiertes Geld verlangen. Das alles weiß natürlich auch die GDL, und nur deshalb konnte sie auf Maximal­forderungen beharren.

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Wie sich dieses Dilemma lösen lässt? Der Königsweg wäre tatsächlich eine strikte Aufteilung in Netzbetrieb und Fahrdienste, um auch ernsthaften Wettbewerb im Personen­verkehr zu organisieren. Doch aktuell käme das zur Unzeit.

Es gibt viel zu viele Groß­baustellen im DB-Konzern, die durch fortgesetzte Untätigkeit diverser Bundes­verkehrsminister entstanden sind. Deshalb braucht es zumindest vorübergehend Regelungen, die unnötige Eskalationen und Unzumutbarkeiten für Bahnkunden verhindern. Wie etwa in anderen EU-Ländern, wo bei Streiks fixe Notfahrpläne vorgeschrieben sind und ein Minimum an Verbindungen garantiert wird. Dafür muss das hohe Gut der Tarif­autonomie nicht geschleift werden. Darauf können sich Bahn­management und Gewerkschaften einigen. Und die nächsten Tarif­verhandlungen kommen bestimmt.

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26.03.2024

Frankfurt am Main. Welch ein Tarifkonflikt und welch ein Abschluss. Die Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) haben sich endlich geeinigt: auf eines der komplexesten Vertragswerke in der deutschen Tarif­geschichte. Die Bahnfahrer können sich freuen, dass die Zeit der Unzumutbarkeiten vorbei ist. Die Bahn wird wieder zu einem etwas verlässlicheren Mobilitäts­angebot.

Dass die Beschäftigten in den DB-Betrieben mit GDL-Mehrheit nun deutlich mehr Geld bekommen, wäre früher eine mittelschwere Sensation gewesen, diesmal ist es nur eine Nebensache. Die Hauptsache ist die Arbeitszeit­regelung für Frauen und Männer im Schichtdienst: Möglich ist jetzt für Lokführer oder Zugbegleiter, in mehreren Schritten und über fast fünf Jahre gestreckt die Wochen­arbeitszeit von aktuell 38 auf 35 Stunden zu reduzieren. Bei vollem Lohnausgleich.

Die DB hat 2023 einen Verlust von 2,4 Milliarden Euro eingefahren. Bahnchef Lutz erwartet für dieses Jahr aber wieder bessere Zahlen. Der Manager will zudem die Sanierung des Schienen­netzes forcieren und zugleich die Pünktlichkeit steigern.

Das ist aber nicht zwingend. Die........

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