Bei der Reform von Hartz IV zum Bürgergeld war die Ampel über das Ziel hinausgeschossen. Schon zur Jahreswende lenkte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) daher ein und kündigte an, dass wer sich systematisch dem Arbeitsmarkt entzieht, dafür zumindest zeitlich begrenzt sanktioniert werden können soll. Nun legt die Union ein weiter gehendes Konzept für eine Sozial­reform vor, die zurück will zum Prinzip des Förderns und Forderns. Das ist zu begrüßen – auch wenn längst nicht alle Vorschläge in dem vierseitigen Papier den Praxistest bestehen werden.

Die Union will den Begriff Bürgergeld wieder abschaffen und an seine Stelle die „Neue Grundsicherung“ setzen. Der Begriff ist ehrlicher und trifft auch mehr den Punkt, den ein Sozialstaat leisten muss. Dieser setzt auf die Solidarität der Leistungs­fähigen mit den Schwachen. Diese Solidarität darf sich aber nicht zur Einbahn­straße entwickeln, in der staatliches Geld bedingungslos verteilt wird. Denn dann wird der Sozialstaat an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Eben dies drohte bei der Reform zum Bürgergeld, die bereits durch den Bundesrat entschärft worden war. Das Prinzip des Förderns und Forderns, das einst Rot-Grün erfunden hatte, sollte nicht aufgegeben werden.

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Konkret fordert die Union, dass der Spracherwerb Menschen nicht davon abhalten sollte, einen einfachen Job anzunehmen. Das wäre die Chance, die Integration von Migrantinnen und Migranten viel stärker über die Erwerbsarbeit laufen zu lassen. Ein Job ist der Schlüssel zu einer Gesellschaft – ökonomisch, kulturell und sozial. Es ist nicht sinnvoll, Menschen erst einmal ein Jahr lang Schleifen durch Integrations­kurse drehen zu lassen, bevor sie ihren ersten eigenen Euro in Deutschland verdienen. Im Gegenteil: Das hält sie von der Integration eher ab.

Sinnvoll wäre es auch, die Hinzuverdienst­grenzen so zu flexibilisieren, dass sie den Anreiz setzen, einen Job aufzunehmen. Dies wiederum könnte auch im Kampf gegen Schwarzarbeit helfen, den die Union in ihrem Konzept ebenfalls aus gutem Grund fordert. Immer wieder gibt es Menschen, die es sich mit einem Mix aus staatlicher Unterstützung und Schwarz­arbeit einrichten. Diese Kombination ist das Gegenteil von gesellschaftlicher Solidarität und muss bekämpft werden.

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Totalverweigerer sollte der Sozialstaat sanktionieren können. Wenn die Union die Hilfen allerdings in solchen Fällen dauerhaft auf null setzen will, droht den Menschen Obdachlosigkeit. Außerdem dürfte das Bundes­verfassungs­gericht eine solche Regelung schnell kassieren. Die Einschränkung, dass Lebens­gefährten und Kinder nicht unter der Komplett­streichung der staatlichen Hilfen leiden sollen, erscheint wenig lebensnah. Sanktionen müssen zielgenau und zeitlich befristet sein.

Schließlich bleibt bei den Plänen der Union nebulös, was sie eigentlich mit der in nur einem Absatz angekündigten Sozialstaats­reform erreichen will. Eine neue „Grundsicherungs­struktur“ an sich hat noch keinen Mehrwert. Reform­bedürftig ist unser Sozialstaat vor allem in seiner Effizienz. Es wird immer noch viel zu wenig Vorsorge im Bildungs­system, bei der Beratung und in der Alltagshilfe getroffen, um Menschen vor Langzeit­arbeitslosigkeit zu bewahren. Erst, wenn es so weit ist, greift der Sozialstaat systematisch ein. Gleiches gilt für Schul­abschlüsse. Es fehlt an Unterstützung dafür, dass kein Jugendlicher ohne Abschluss die Schule verlässt. Wenn es doch passiert, gibt es reichlich Angebote, das Versäumte nachzuholen. Der Sozialstaat wäre so viel effektiver, wenn er früher ansetzen würde. Und für das Leben der Betroffenen wäre es sowieso besser.

QOSHE - Mehr Ehrlichkeit in der Sozialpolitik wagen - Eva Quadbeck
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Mehr Ehrlichkeit in der Sozialpolitik wagen

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18.03.2024

Bei der Reform von Hartz IV zum Bürgergeld war die Ampel über das Ziel hinausgeschossen. Schon zur Jahreswende lenkte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) daher ein und kündigte an, dass wer sich systematisch dem Arbeitsmarkt entzieht, dafür zumindest zeitlich begrenzt sanktioniert werden können soll. Nun legt die Union ein weiter gehendes Konzept für eine Sozial­reform vor, die zurück will zum Prinzip des Förderns und Forderns. Das ist zu begrüßen – auch wenn längst nicht alle Vorschläge in dem vierseitigen Papier den Praxistest bestehen werden.

Die Union will den Begriff Bürgergeld wieder abschaffen und an seine Stelle die „Neue Grundsicherung“ setzen. Der Begriff ist ehrlicher und trifft auch mehr den Punkt, den ein Sozialstaat leisten muss. Dieser setzt auf die Solidarität der Leistungs­fähigen mit den Schwachen. Diese Solidarität darf sich aber nicht zur Einbahn­straße entwickeln, in der staatliches Geld bedingungslos........

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