Stand: 10.04.2024, 16:09 Uhr

Von: Leo Fischer

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Ein gekaufter Film gehört nicht dem Käufer. Ähnlich kann es mit der eigenen Stimme sein, die für einen Podcast genutzt wird.

Was ist eigentlich Eigentum? Und: Können wir uns Eigentum heutzutage überhaupt noch leisten? Früher schien die Frage beantwortet: In der kleinbürgerlichen Kernfamilie malochte der Familienvater bis zum Umfallen, hatte dafür aber am Ende seines Lebens eine abbezahlte Doppelhaushälfte, eine depressive Hausfrau und zwei entfremdete Kinder, die nicht mehr anrufen.

Doch schon damals war Eigentum flüchtig: Die Doppelhaushälfte diente als Sicherheit, falls sein Finanzberater ihn in irgendwelche dubiosen Investmentmodelle hineinziehen wollte, und konnte so bedarfsweise wieder an die finanzierende Bank zurückgegaukelt werden.

Heute ist die Lage noch vertrackter. Gestern Abend wollte ich mir einen Film ansehen, den ich 2014 bei einem Streaming-Dienst zum Preis einer DVD gekauft hatte. Doch statt des erhofften Spektakels wurde mir vorgeschlagen, den Film erneut zu kaufen. Ich überprüfte meine E-Mail-Historie: jawohl, 2014 gekauft, mit Quittung und allem.

Tatsächlich aber sagt das Kleingedruckte, dass „kaufen“ sehr viel mehr bedeutet, unter anderem, dass der gekaufte Artikel auch plötzlich wieder verschwinden kann, wenn sich der Streaming-Dienst beispielsweise nicht länger mit den Rechteinhaber:innen einig wird. Hätte ich damals nur eine DVD gekauft ..., werden da jetzt manche onkeln.

Doch hierfür bräuchte ich auch einen antiken DVD-Spieler. Denn alle neueren Modelle sind mit einem Digital-Rights-Management-System ausgestattet, das mir den Zugriff auf die DVD bedarfsweise vorenthalten kann.

Ein anderes Beispiel: Über mehrere Wochen hinweg wollte meine Spielekonsole unbedingt ihre eigenen Controller updaten. Das kam mir schon merkwürdig vor, denn warum müssen sechs Knöpfe geupdatet werden?

Die Antwort fand ich, als nach dem Update meine Controller nicht mehr geladen wurden: Denn mein Ladegerät war nicht vom Hersteller; das Update diente vor allem dem Zweck, Drittanbieter auszumerzen und mich zum Kauf eines proprietären Ladegeräts zu zwingen. Wieder ein Kauf, der nur scheinbar einer war.

Vor einiger Zeit nahm ich mit einem Freund einen Podcast auf. Das Sozialmedium, auf dem ich die Aufnahme ausspielte, verwarnte mich zehn Minuten später wegen einer Urheberrechtsverletzung. Tatsächlich klang eine etwa 2-sekündige Stelle in dem Podcast genau so wie eine Aufnahme eines deutschen Lyrikers, der bei Universal unter Vertrag ist.

Es genügte, dass unsere Stimmen ähnlich klangen: Diese spezifische Sprachmelodie gehört für immer Universal! Wahrscheinlich könnten sie mir jetzt theoretisch sogar die Stimmbänder wegpfänden.

Enorme Energien werden darauf verwendet, Eigentum zu markieren; ganze Rechenzentren produzieren nichts als die Blockchain-Schlüssel, die nötig sind, um Information, die eigentlich frei ist, ins Korsett Eigentum zu pressen.

Doch derselbe Digitalkomplex, der unbarmherzig jeder Vokalfolge im Netz nachrecherchiert, fotografiert zur Programmierung seiner künstlichen Intelligenz (KI) regelmäßig das Internet ab: ohne Entschädigung für die Rechteeigner:innen, ohne Rücksicht aufs Eigentum.

Die Produkte, die uns die KI auf Basis unserer geklauten Kommunikation zurückspielt, werden sofort wieder lizenziert und an uns zurückverkauft – vorbehaltlich dessen, was heute „kaufen“ heißt. Eigentum – man muss es sich eben leisten können!

Leo Fischer ist Autor, Stadtrat in Frankfurt (Ökolinx) und war Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“.

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Eigentum in modernen Zeiten

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10.04.2024

Stand: 10.04.2024, 16:09 Uhr

Von: Leo Fischer

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Ein gekaufter Film gehört nicht dem Käufer. Ähnlich kann es mit der eigenen Stimme sein, die für einen Podcast genutzt wird.

Was ist eigentlich Eigentum? Und: Können wir uns Eigentum heutzutage überhaupt noch leisten? Früher schien die Frage beantwortet: In der kleinbürgerlichen Kernfamilie malochte der Familienvater bis zum Umfallen, hatte dafür aber am Ende seines Lebens eine abbezahlte Doppelhaushälfte, eine depressive Hausfrau und zwei entfremdete Kinder, die nicht mehr anrufen.

Doch schon damals war Eigentum flüchtig: Die Doppelhaushälfte diente als Sicherheit, falls sein Finanzberater ihn in irgendwelche dubiosen Investmentmodelle hineinziehen wollte, und konnte so bedarfsweise wieder an die finanzierende Bank zurückgegaukelt werden.

Heute ist die Lage noch........

© Frankfurter Rundschau


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