Stand: 10.01.2024, 14:53 Uhr

Von: Klaus Staeck

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Die AfD tritt immer offener rechtsextremistisch auf. Appelle gegen sie müssen ergänzt werden.

Vor mir liegt ein Buch, das Mitte der neunziger Jahre erschien. Der Umschlag zeigt eine Graffiti-besprühte Mauer in gehobener, bürgerlicher Wohngegend. Im Schriftzug „Nazis raus!“ hat ein anderer Sprayer das „raus“ durch ein „rein“ ersetzt und ein dritter sprühte in roten Großbuchstaben die entscheidende Frage: „Wohin denn?“. Der Sammelband „Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt“, herausgegeben von der Berliner Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz, bietet mir auch heute noch fundierte Texte, um das Gedankengut (wenn man es so nennen will) der extremen Rechten in seiner ganzen Komplexität zu verstehen.

Die Autoren konnten noch nicht voraussehen, dass 18 Jahre später 18 Männer die „Alternative für Deutschland“ gründen werden. Und schon gar nicht, dass diese Partei mit steigenden Umfragewerten, wegen rechtsextremer Verdachtsfälle unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehend, einen ganzen Flügel im Bundestag besetzen würde und in mindestens zwei ostdeutschen Landtagen als Wahlgewinner hervorgehen könnte.

An das „Wohin denn?“ muss ich dieser Tage immer denken, wenn ich die Debatte um ein Ja oder Nein zum Parteienverbot der AfD verfolge. Wohin werden sich geschätzte 37 Prozent der Menschen in Sachsen und Thüringer orientieren, wenn der Favorit ihres protestlerischen Unmutes nach einem jahrelangen Verfahren vor den Verfassungsgerichten mit höchst ungewissem Ausgang tatsächlich als illegal eingestuft wird?

Carsten Schneider, SPD-Mitglied und Ost-Beauftragter der Bundesregierung, kennt als bodenständiger Erfurter diese Klientel. Er appelliert an die „stille Mitte“, die sich erheben müsse, um diese Demokratie zu erhalten. Dieser Aufgabe könnten wir uns nicht entledigen, indem wir die sogenannte Alternative für Deutschland verbieten, wir würden es uns zu einfach machen. Und er warnt, da bin ich ganz seiner Meinung, vor „sehr hohen Kollateralschäden“. Allein der Antrag könne zu einer „noch größeren Solidarisierung“ mit der AfD führen, auch bei „Leuten, die gar keine AfD-Sympathisanten oder -Wähler“ seien.

Das NPD-Verbotsverfahren hat außer ein paar Tausend Seiten Protokoll vor allem etwas mehr Aufmerksamkeit für die meist verpeilten Neonazi-Funktionäre hervorgebracht. Umbenannt in „Die Heimat“ laufen die ex-NPDler als kleines völkisches Häuflein nun hinter dem Erfolgsmodell AfD hinterher, das sich längst von seinen Gründervätern, die einst vor allem den Euro bekämpfen wollten, getrennt hat.

Björn Höcke, der aus dem Westen nach Thüringen importierte Geschichtslehrer, AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag und seit März 2021 amtlich als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft, bestimmt hinter den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel das Profil der Partei. Gern ließ er sich schon von einem österreichischen TV-Kumpan als künftiger „Ministerpräsident der Herzen“ interviewen.

Dass er es werden könnte, dass seine Partei im Freistaat über ihre eingesetzten Verfassungsrichter, über die Besetzung von Richter-Wahlausschüssen, über Verfassungsänderungen eine Erosion von Rechtsstaat und Demokratie einleiten würden, könnte die politische Landschaft umkrempeln. Kein radikaler Umsturz, aber ein schleichender Weg – doch schon eine Legislaturperiode würde genügen, um die liberale Demokratie auszuhöhlen.

Heribert Prantl, Journalist und früher auch Richter und Staatsanwalt, empfahl kürzlich, den Artikel 18 des Grundgesetzes anzuwenden, um Neonazis das aktive und das passive Wahlrecht zu entziehen. Er nennt es Intoleranz gegenüber Verfassungsfeinden als Absage an eine fatalistische Toleranz. (Klaus Staeck)

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Gegen eine fatalistische Toleranz

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11.01.2024

Stand: 10.01.2024, 14:53 Uhr

Von: Klaus Staeck

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Die AfD tritt immer offener rechtsextremistisch auf. Appelle gegen sie müssen ergänzt werden.

Vor mir liegt ein Buch, das Mitte der neunziger Jahre erschien. Der Umschlag zeigt eine Graffiti-besprühte Mauer in gehobener, bürgerlicher Wohngegend. Im Schriftzug „Nazis raus!“ hat ein anderer Sprayer das „raus“ durch ein „rein“ ersetzt und ein dritter sprühte in roten Großbuchstaben die entscheidende Frage: „Wohin denn?“. Der Sammelband „Rechtsextremismus. Ideologie und Gewalt“, herausgegeben von der Berliner Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz, bietet mir auch heute noch fundierte Texte, um das Gedankengut (wenn man es so nennen will) der extremen Rechten in seiner ganzen Komplexität zu verstehen.

Die Autoren konnten noch nicht voraussehen, dass 18 Jahre später 18 Männer die „Alternative für Deutschland“........

© Frankfurter Rundschau


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