Stand: 03.03.2024, 15:48 Uhr

Von: Anetta Kahane

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Offenbar hat der Antisemitismus noch immer eine Anziehungskraft. Er ist eine Kulturtechnik, um sich den Widersprüchen des Lebens zu entziehen.

Wie ein Gespenst aus vergangener Zeit taucht die Terrorgruppe RAF wieder auf. Ihre Mitglieder ermordeten mindestens 34 Menschen. Daniela Klette, 3. Generation der RAF, konnte nun in Berlin verhaftet werden. Zwei werden wohl noch dazukommen.

Angeblich ist die Bewegung schon lange tot und die Untergetauchten tun nichts mehr. Etwa so, wie ehemalige Kampfhunde, die „auf leise“ sein umtrainiert wurden, ohne ihre Kampfbereitschaft zu verlieren. Zu Daniela Klettes Mädchengesicht passt dieses Leben zwischen Brasilfolklore und Granaten hinterm Küchentisch.

Ich selbst habe die 1968er Jahre anders erlebt, denn in der DDR bedeuteten sie das Ende aller Hoffnungen auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Dem Prager Frühling wurde militärisch der Garaus gemacht. Während also im Westen das Aufbegehren gegen das „pro-faschistische“ System begann, blieb der Osten stecken.

Dennoch begann im Westen etwas, das ich beneidete. Westdeutschland bewegte sich. Heute würde ich sagen, es war ein Aufbruch aus der Verkrustung einer geschenkten Demokratie, die darauf wartete, auch gelebt zu werden.

Mit den 68ern lösten sich langsam starre Strukturen und Ideen. Die Republik blickte zwar zögerlich und lückenhaft, aber durchaus selbstkritisch auf seine Vergangenheit. Das war die eine Seite der 68er-Bewegung.

Die andere brüllte „Klassenkampf!!“ – und entdeckte ihr neues revolutionäres Subjekt in den Palästinensern und ihrem bewaffneten Kampf gegen die Juden in und außerhalb Israels. Und gründete die RAF.

Diese beiden Seiten der 68er, die Kraft der Reform hin zu einer liberalen Gesellschaft und die Regression durch den alten, ideologisch verbrämten Antisemitismus, scheinen mir eine dialektische Klammer zu sein und kein Widerspruch. Das ist gut und schlecht.

Einerseits erlebe ich in der öffentlichen Diskussion ernsthafte Bemühungen, das Geschehen in Israel und Gaza ernsthaft zu verstehen. Es sind nicht viele, aber auch bei denen, die sich in der Nachfolge der 68er sehen, also die Grünen und Sozialdemokraten, doch beachtlich. Beunruhigend ist jedoch auf der anderen Seite, dass viele Kunstschaffende und Leute an den Universitäten lieber die liberale Demokratie zerstören, als Antisemitismus zu begreifen. Und klar, dann sind da noch die Jungen mit ihrem Intifada-Gekreisch, die jede Regung der Vernunft zerstören. Sie docken bei denjenigen an, die noch immer ihr revolutionäres Palästina brauchen, um sich die Welt zu erklären.

Die Diskussion über Israel und die Juden spült gerade einiges an die Oberfläche, was lange „auf leise“ umtrainiert war. Offenbar hat der Antisemitismus noch immer eine große Anziehungskraft. Er ist eine Kulturtechnik, um sich den Widersprüchlichkeiten des Lebens zu entziehen, seinen Konflikten und Zumutungen. Die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und der Erlösung von der großen Verantwortung des eigenen Handelns ist riesig und macht wütend, weil sie unerfüllbar bleibt, denn so ist das Leben. Deshalb die Projektion auf Israel. Alles schreit danach, diesen einen Konflikt zu lösen, um sich so vielleicht aller damit zu entledigen. Die Juden mit und ohne ihren Staat gelten von jeher als Symbol jeglichen Konflikts. Daran ist nichts Neues. Nichts mehr mit „auf leise“ trainiert, die Kampfbereitschaft des Antisemitismus hat nicht nachgelassen.

Anetta Kahane war Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.

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Auf „leise“ trainiert?

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03.03.2024

Stand: 03.03.2024, 15:48 Uhr

Von: Anetta Kahane

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Offenbar hat der Antisemitismus noch immer eine Anziehungskraft. Er ist eine Kulturtechnik, um sich den Widersprüchen des Lebens zu entziehen.

Wie ein Gespenst aus vergangener Zeit taucht die Terrorgruppe RAF wieder auf. Ihre Mitglieder ermordeten mindestens 34 Menschen. Daniela Klette, 3. Generation der RAF, konnte nun in Berlin verhaftet werden. Zwei werden wohl noch dazukommen.

Angeblich ist die Bewegung schon lange tot und die Untergetauchten tun nichts mehr. Etwa so, wie ehemalige Kampfhunde, die „auf leise“ sein umtrainiert wurden, ohne ihre Kampfbereitschaft zu verlieren. Zu Daniela Klettes Mädchengesicht passt dieses Leben zwischen Brasilfolklore und Granaten hinterm Küchentisch.

Ich selbst habe die 1968er Jahre anders erlebt, denn in der DDR bedeuteten sie........

© Frankfurter Rundschau


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