Diese Demonstration hallt nach. Sie hat die Hoffnungen der Veranstalter übertroffen. Auch wenn mit einer beachtlichen Mobilisierung zu rechnen war in Anbetracht der Empörung in ganz Deutschland über die Pläne von Rechtsextremen zur sogenannten Remigration von Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln: Die Zahl von 13.000 Teilnehmern am Samstag in Gießen nach zuerst erwarteten 250 spricht eine wohltuende Sprache. Zumal es der größte Aufzug in der Uni-Stadt seit mindestens drei Jahrzehnten gewesen ist. Manche sprechen sogar von der größten Kundgebung der Nachkriegszeit an der Lahn.

Nachhallen, allerdings auf weniger schöne Art und Weise, wird die Begleitmusik zu dem Aufzug. Zwei Tage vorher beklagte sich die Gießener CDU öffentlich, von den Anmeldern der Kundgebung nicht gefragt worden zu sein, ob auch sie in den Kreis der Unterstützer eintreten wolle. Schließlich trete sie klar gegen rechtsextreme Hetze ein. Ein Vertreter des Bündnisses „Gießen bleibt bunt“ ließ darauf wissen, keinerlei demokratische Kräfte ausschließen zu wollen. Es bleibt mithin der Eindruck: Die einen wären gerne gefragt worden, die anderen haben die Füße stillgehalten. Das mutet an wie Polit-Mikado nach dem Motto: „Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.“

Dieses Hin und Her lässt sich mit dem Blick in die jüngere Geschichte der Lokalpolitik gewiss erklären. Das Bündnis ist zwar breit aufgestellt – ihm gehören SPD und Grüne ebenso an wie die IG Metall, die Chemie- und die Baugewerkschaft, die Aids-Hilfe, die Evangelische Kirche und das Stadttheater. Doch unter den Strich sind die Mitglieder eher links der Mitte anzusiedeln. Nun geht es in der Gießener Stadtpolitik seit jeher munter und streitig zu. Außerdem hat die CDU jüngst etwa gegen den von der linken Mehrheit im Rathaus gewollten Verkehrsversuch kräftig Stimmung gemacht – und sich wenige Freunde auf den Regierungsbänken und den Befürwortern des letztlich gescheiterten Experiments geschaffen. Doch der Einsatz für Demokratie und Freiheit und der Kampf gegen Rechtsextreme geht nicht nur eine Seite etwas an.

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In einer Zeit, in der Rechtsextremisten und ihnen nahestehende Kreise ein Tabu nach dem anderen brechen, ist es nicht zu viel verlangt von einem Bündnis wie „Gießen bleibt bunt“, bei CDU und FDP anzuklopfen oder auch bei Landjugend und IHK. Umgekehrt sollten Liberale und Union nicht warten, bis sie gefragt werden. Sondern selber fragen. Denn diese Demo sollte nur ein Auftakt gewesen sein.

QOSHE - Unangebrachtes Polit-Mikado - Thorsten Winter
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Unangebrachtes Polit-Mikado

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22.01.2024

Diese Demonstration hallt nach. Sie hat die Hoffnungen der Veranstalter übertroffen. Auch wenn mit einer beachtlichen Mobilisierung zu rechnen war in Anbetracht der Empörung in ganz Deutschland über die Pläne von Rechtsextremen zur sogenannten Remigration von Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln: Die Zahl von 13.000 Teilnehmern am Samstag in Gießen nach zuerst erwarteten 250 spricht eine wohltuende Sprache. Zumal es der größte Aufzug in der Uni-Stadt seit mindestens drei Jahrzehnten gewesen ist. Manche sprechen sogar von der größten Kundgebung der Nachkriegszeit an der Lahn.

Nachhallen, allerdings auf weniger schöne Art und Weise, wird die Begleitmusik zu dem Aufzug. Zwei Tage........

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