Wenn wir dem neuen Bericht der Nationalen Akademie Leopoldina zur Zukunft der Arbeit glauben, dann leben wir nicht mehr in einer Erwerbs-, sondern in einer Tätigkeitswelt. Dort pendeln wir lässig zwischen Bildung, Erziehung und mancherlei Berufen hin und her und, die Prognose sei gewagt, hören auch immer mal wieder Musik.

Die gute Nachricht ist, dass die Musikwelt auf den Wandel gut vorbereitet ist. Auf den Musikplattformen sind die Millennials tonangebend, schreibt der Soziologe Mads Krogh in der Zeitschrift „Cultural Sociology“. Sie haben den Anspruch, aus jeder Stimmung und jedem Anlass einen bestimmten Vibe zu machen. Das wissen auch die Streamingdienste. Stile und Genres gelten dort nicht mehr als zuverlässige Indikatoren für Hörvorlieben. Stattdessen wird nach Aktivitäten sortiert. Neben Klassik, Rock oder Pop heißt es nun auch Chill, Work-out oder Sleep. Gesucht wird der Song, der sich der Stimmungslage des Hörers anschmiegt. Backe ich gerade einen Kuchen? Weht mein Haar im Sommerwind? Fragen wie diese haben plötzlich ästhetisches Gewicht.

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Mit Individualität hat das trotzdem nur am Rande zu tun. Hinter dem persönlichen Hörerlebnis steht nach Krogh eine tayloristische Industrie, die nach automatisierten Standards operiert. Individualität wird von Feedback-Schleifen fortwährend neu produziert. Dem Nutzer wird währenddessen mit Labeln wie „made for you“ Einzigartigkeit suggeriert. In der idealen Streamingwelt fallen Wunsch und Angebot zusammen. Damit ändert sich die Erwartung an die Musik: Sie erzeugt nicht mehr eine andere Stimmung, sondern verstärkt eine schon vorhandene. Der Trend geht zur Begleitmusik. Musiksoziologen sprechen vom „contex­tual turn“. Damit ist gemeint, dass aus jedem Anlass, jeder Tätigkeit und jeder Umgebung ein neuer Stil hervorgehen kann.

Das ist nach Krogh insbesondere dem von Spotify hinzugekauften Dienst „The Echo Nest“ zu verdanken, der aus Trillionen von Datenpunkten fortwährend neue Stile kreiert und nach numerischen Gesichtspunkten Stilverwandtschaften errechnet. Dem Europop rechnerisch am nächsten ist der Bubblegum Dance.Stil wird hier zu einem Behälter, der nahezu beliebig mit Stimmungen, Tätigkeiten und Trends aufgefüllt werden kann. Darauf einen Badewannen-Blues.

QOSHE - Nur für dich - Thomas Thiel
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20.01.2024

Wenn wir dem neuen Bericht der Nationalen Akademie Leopoldina zur Zukunft der Arbeit glauben, dann leben wir nicht mehr in einer Erwerbs-, sondern in einer Tätigkeitswelt. Dort pendeln wir lässig zwischen Bildung, Erziehung und mancherlei Berufen hin und her und, die Prognose sei gewagt, hören auch immer mal wieder Musik.

Die gute Nachricht ist, dass die Musikwelt auf den Wandel gut vorbereitet ist. Auf den Musikplattformen sind die Millennials tonangebend, schreibt der Soziologe Mads Krogh in der Zeitschrift „Cultural Sociology“. Sie haben den Anspruch, aus jeder Stimmung und jedem Anlass einen bestimmten Vibe zu machen.........

© Frankfurter Allgemeine


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