Es war eine herbe Niederlage für die Berliner Staatsanwaltschaft: Nach dreieinhalb Jahren und 114 Prozesstagen wurde die Clan-Größe Arafat Abou-Chaker am Montag vom Landgericht Berlin in allen wesentlichen Punkten freigesprochen. Lediglich für das heimliche Aufnehmen von Gesprächen wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwältin hatte sich bis zuletzt an den zunehmend aussichtslosen Fall geklammert, mehr als vier Jahre Haft forderte sie in ihrem Abschlussplädoyer für Arafat Abou-Chaker.

Dem Kampf gegen kriminelle Clans hat die Anklagebehörde damit nicht gedient. Sie hat den Menschen Futter geliefert, für die der Begriff „Clankriminalität“ nur ein rassistischer Kampfbegriff ist, mit dem unbescholtene Bürger drangsaliert würden. Dazu hat allerdings auch das Gericht beigetragen, weil es dem Prozess nicht früher ein Ende gesetzt hat. Der Rapper Bushido sagte als Hauptzeuge an 25 Prozesstagen aus, dabei ging es im Kern um einen Vorgang von vier Stunden. So lange soll Abou-Chaker seinen damaligen Geschäftspartner Bushido angeblich in einem Büro eingesperrt, bedroht, verletzt und erpresst haben, weil der sich von ihm trennen wollte. Die Vorwürfe basierten fast nur auf den Aussagen von Bushido, dessen Glaubwürdigkeit der Richter in seiner Urteilsbegründung mit guten Gründen in Frage stellte.

Dabei gab es am Anfang der Ermittlungen durchaus schwere Vorwürfe gegen Abou-Chaker. Die Ermittler warfen ihm 2019 noch vor, dass er zusammen mit weiteren Clanmitgliedern andere dazu angehalten habe, Gewalt gegen Bushido und die Rapper Farid Bang und Kollegah auszuüben, auch durch den Einsatz einer Schusswaffe. Außerdem soll Abou-Chaker, so ein weiterer Vorwurf, geplant haben, zwei Personen dafür zu bezahlen, die Kinder von Bushido zu entführen und seine Frau mit Säure zu überkippen. In den Ermittlungsakten standen damals sogar die Namen der Männer, an die dieser Auftrag ergehen sollte.

Die entscheidenden Zeugen kamen aber aus dem erweiterten Familienkreis von Abou-Chaker und sie zogen ihre Aussagen schließlich zurück. So ist es oft bei Ermittlungen in diesem Milieu: Wichtige Zeugen wollen sich plötzlich an nichts mehr erinnern, entweder weil sie eingeschüchtert wurden, oder weil Konflikte abseits der Behörden von sogenannten Friedensrichtern geklärt wurden. Das macht es für Ermittler fast unmöglich, Zeugen zu finden.

Der Begriff Clankriminalität bleibt deswegen richtig: Er beschreibt das Phänomen treffend, dass familiäre Strukturen genutzt werden, um Verbrechen zu organisieren und zu verschleiern. Der Versuch der Politik, darauf mit „tausend Nadelstichen“ zu reagieren, indem zum Beispiel ständig Shisha-Bars durchsucht werden, um wenigstens Strafen wegen unversteuertem Tabak zu verhängen, wirkt da eher hilflos. Andererseits ist es auch richtig, sich die Provokationen der Clans nicht dauerhaft gefallen zu lassen – auch wenn es nur um das Parken in zweiter Reihe geht.

Einige Clanmitglieder machen sich geradezu einen Spaß daraus, in teuren Autos zu posieren, während sie gleichzeitig Transferleistungen des Staates annehmen. Der Besitz wird verschleiert. Arafat Abou-Chaker residiert weiterhin in einer Villa in Kleinmachnow, die bei einer Zwangs­versteigerung von seinem Sohn gekauft wurde. Kein Mensch weiß, woher der die Millionen dafür hat. Es wird gegen ihn ermittelt. Gleichzeitig versteigert das Finanzamt Potsdam beschlagnahmte Wertgegenstände von Arafat Abou-Chaker, um an Steuerschulden zu kommen, die er hat.

Wie man erfolgreich gegen kriminelle Clans vorgehen kann, haben Ermittler zuletzt an anderer Stelle gezeigt: mit nüchterner, gründlicher Ermittlungsarbeit. So konnten Mitglieder des Remmo-Clans wegen spektakulärer Einbrüche verurteilt werden, Immobilien aus ihrem Besitz wurden eingezogen, weil die Finanzierung unklar war und bald müssen Clanmitglieder wohl auch endlich aus einer beschlagnahmten Villa im Berliner Stadtteil Buckow ausziehen.

Dass es nichts mit der Familie zu tun hat, wenn fünf Remmo-Männer für den Juwelendiebstahl im Grünen Gewölbe verurteilt werden und ein sechster, der deswegen gerade noch vor Gericht steht, schon im jungen Alter nach den „besten Einbruchszielen für Anfänger“ googelte, ist absurd. Trotzdem muss jede einzelne Straftat selbstverständlich gerichtsfest nachgewiesen werden.

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Auch wenn das schwierig für die Ermittler ist: Sie können sich deswegen nicht einen windigen Zeugen suchen, der seine eigene Agenda verfolgt, und auf dieser Grundlage dann Clanmitglieder wegen vergleichsweise harmloser Vorwürfe jahrelang vor Gericht stellen. Sonst brauchen sie sich am Ende nicht über den Vorwurf beschweren, dass niemand mit einem deutschen Nachnamen so behandelt würde.

Hören Sie hier einen Podcast zu dem Urteil.

QOSHE - Wie man gegen Clans vorgeht – und wie nicht - Sebastian Eder
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Wie man gegen Clans vorgeht – und wie nicht

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06.02.2024

Es war eine herbe Niederlage für die Berliner Staatsanwaltschaft: Nach dreieinhalb Jahren und 114 Prozesstagen wurde die Clan-Größe Arafat Abou-Chaker am Montag vom Landgericht Berlin in allen wesentlichen Punkten freigesprochen. Lediglich für das heimliche Aufnehmen von Gesprächen wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwältin hatte sich bis zuletzt an den zunehmend aussichtslosen Fall geklammert, mehr als vier Jahre Haft forderte sie in ihrem Abschlussplädoyer für Arafat Abou-Chaker.

Dem Kampf gegen kriminelle Clans hat die Anklagebehörde damit nicht gedient. Sie hat den Menschen Futter geliefert, für die der Begriff „Clankriminalität“ nur ein rassistischer Kampfbegriff ist, mit dem unbescholtene Bürger drangsaliert würden. Dazu hat allerdings auch das Gericht beigetragen, weil es dem Prozess nicht früher ein Ende gesetzt hat. Der Rapper Bushido sagte als Hauptzeuge an 25 Prozesstagen aus, dabei ging es im Kern um einen Vorgang von vier Stunden. So lange soll Abou-Chaker seinen damaligen Geschäftspartner Bushido angeblich in einem Büro eingesperrt, bedroht, verletzt und erpresst haben, weil der sich von ihm trennen wollte. Die Vorwürfe basierten fast nur auf den Aussagen von Bushido, dessen Glaubwürdigkeit der Richter in........

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