Was am 18. Juni 2016 in Seigertshausen, einem rund 640 Einwohner zählenden Stadtteil von Neukirchen in Nordhessen, geschah, war zweifellos eine Tragödie. Drei Kinder – fünf, acht und neun Jahre alt – ertranken an diesem Samstag in einem Teich. Sie waren unbeaufsichtigt zu dem nicht eingezäunten Gewässer gelaufen. Seitdem sah sich der damalige Neukirchener Bürgermeister dem Verdacht ausgesetzt, er trage eine Mitschuld am Tod der Kinder, weil er den Teich nicht mit einem Zaun hatte sichern lassen. „Fahrlässige Tötung durch Unterlassen“, lautete der Vorwurf, den sowohl das Amtsgericht Schwalmstadt als auch das Landgericht Marburg für gerechtfertigt hielten.

Ein Beispiel für juristischen Übereifer? Das kann man durchaus so sehen. Jetzt, mehr als sieben Jahre nach dem tragischen Ereignis, ist der vermeintlich Verantwortliche in letzter Instanz doch noch freigesprochen worden. Es habe sich bei dem Geschehen im Sommer 2016 um einen furchtbaren Unglücksfall gehandelt, an dem der Bürgermeister keine Schuld trage, befand das Oberlandesgericht Frankfurt. Ein Fall von später Gerechtigkeit? Gewiss.

Ganz sicher ist der Fall aber auch gleich in mehrfacher Hinsicht eine menschliche Tragödie. Der frühere Bürgermeister ist inzwischen nämlich selbst zum Opfer der Geschehnisse geworden. Schon sein Verzicht auf eine mögliche Wiederwahl im Jahr 2021 war wohl eine Reaktion auf die Anschuldigungen gegen ihn. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht entschuldigte sich jetzt für die lange Verfahrensdauer und die damit verbundenen Belastungen.

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Bürgermeister sollen sich „nach bestem Wissen und Gewissen“, wie es in der Vereidigungsformel heißt, für ihre Bürger einsetzen. Deshalb können sie aber nicht für jede mögliche Gefahr Verantwortung übernehmen und für alles, was in ihrer Gemeinde geschieht, persönlich in die Pflicht genommen werden. Ein gewisses Lebensrisiko bleibt immer, und es gibt Schicksale, für die es keine Schuldigen gibt.

QOSHE - Manchmal gibt es keinen Schuldigen - Ralf Euler
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Manchmal gibt es keinen Schuldigen

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27.11.2023

Was am 18. Juni 2016 in Seigertshausen, einem rund 640 Einwohner zählenden Stadtteil von Neukirchen in Nordhessen, geschah, war zweifellos eine Tragödie. Drei Kinder – fünf, acht und neun Jahre alt – ertranken an diesem Samstag in einem Teich. Sie waren unbeaufsichtigt zu dem nicht eingezäunten Gewässer gelaufen. Seitdem sah sich der damalige Neukirchener Bürgermeister dem Verdacht ausgesetzt, er trage eine Mitschuld am Tod der Kinder, weil er den Teich nicht mit einem Zaun hatte sichern lassen. „Fahrlässige Tötung durch Unterlassen“, lautete der Vorwurf,........

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