In Europa hat man Joe Biden in den vergangenen Wochen erstaunlich schnell abgeschrieben. Die Debatten, die über Europas Sicherheit geführt werden, finden alle unter dem Eindruck statt, dass Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus wahrscheinlich, wenn nicht unausweichlich sei. Vor allem in den „chattering classes“, die die Großkonferenzen dieser Welt von Davos bis München bespielen, ist das ein großes Thema.

In Wirklichkeit haben schon die Vorwahlen gezeigt, dass es für Trump nicht einfach wird. Seine alte Schwäche bei der Ansprache gemäßigter konservativer Wähler und nicht weißer, gebildeter Schichten führte zu den guten Ergebnissen Nikki Haleys. Das wird, neben seinen juristischen Problemen, am Wahltag sein größtes Problem sein.

Aber er hat vor allem auch einen starken Gegenkandidaten. Das hat Biden in der Nacht auf Freitag mit einer kämpferischen Rede zur Lage der Nation bewiesen. Er nutzte die traditionelle State-of-the-Union-Address nicht nur, um sein Programm herauszustreichen, sondern er griff die Republikaner und ihren (voraussichtlichen) Kandidaten da an, wo sie offene Flanken haben: bei ihrem wahltaktischen Umgang mit der Grenzsicherung, bei der Blockade der Ukrainehilfe.

Damit wird er keinen einzigen von Trumps überzeugten MAGA-Wählern auf die Seite der Demokraten ziehen, die folgen ihrem Idol auf jeden Abweg. Aber die gesellschaftliche Mitte, auf die es in den entscheidenden Swing States ankommt, kann man schon mit dem Satz erreichen: „Das ist Amerika, wo wir alle von irgendwoher kommen, aber alle Amerikaner sind.“ Oder mit der Feststellung, dass ein amerikanischer Anführer sich nicht einem russischen Präsidenten beuge.

Mit seiner Rede hat Biden versucht, an seinen beiden größten Schwächen zu arbeiten. Zum einen kündigte er die Errichtung eines temporären Hafens zur humanitären Versorgung Gazas an. Das ist ein Schritt, der auf die Wählergruppe der arabischstämmigen Amerikaner und jungen, menschenrechtsbewegten Demokraten zielt. Dass ihm deren Stimmen nicht mehr sicher sind, hat sich gerade in den Vorwahlen in Michigan gezeigt.

Und Biden ging offensiv mit der Frage seines Alters um. Die Ausführungen, die er dazu machte, (er sei früher für zu jung gehalten worden, heute für zu alt), sind sympathisch, aber sie ändern nichts am Gesamteindruck: Biden ist ein alter Mann, man sah es ihm auch an diesem Abend im Kongress wieder an. Dass er den Auftritt ohne einen seiner berüchtigten Patzer absolvierte, nimmt diesen Faktor nicht aus dem Wahlkampf, da waren die jüngsten Umfragen recht eindeutig. Es hilf Biden auch nichts, dass Trump nur ein paar Jahre jünger ist. Sein Herausforderer wirkt fitter.

Mehr zum Thema

1/

State of the Union : Bidens Rede zur Lage des Präsidenten

Kandidat ohne Konkurrenz : So will Trump Amerika und die Welt umkrempeln

Ende einer Kampagne : Wohin streben Nikki Haleys Wähler?

Die Amerikaner wollen die Wiederauflage dieses Duells mehrheitlich nicht. Dass nun doch alles darauf hinausläuft, zeigt eine bemerkenswerte Schwäche der nachrückenden Generationen in beiden Parteien. Nicht nur nach Lebensalter und Habitus stehen die beiden Kandidaten für die Vergangenheit: der Demokrat Biden, ein Atlantiker und Zentrist alter Schule, und der Republikaner Trump, ein Nativist und Isolationist, der an die dunkleren Seiten der amerikanischen Geschichte anknüpft. Wie dieses Rennen ausgeht, ist noch lange nicht entschieden. Bis zum 5. November kann noch viel passieren, in der Welt und in Amerika.

QOSHE - Trump hat noch nicht gewonnen - Nikolas Busse
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Trump hat noch nicht gewonnen

5 0
08.03.2024

In Europa hat man Joe Biden in den vergangenen Wochen erstaunlich schnell abgeschrieben. Die Debatten, die über Europas Sicherheit geführt werden, finden alle unter dem Eindruck statt, dass Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus wahrscheinlich, wenn nicht unausweichlich sei. Vor allem in den „chattering classes“, die die Großkonferenzen dieser Welt von Davos bis München bespielen, ist das ein großes Thema.

In Wirklichkeit haben schon die Vorwahlen gezeigt, dass es für Trump nicht einfach wird. Seine alte Schwäche bei der Ansprache gemäßigter konservativer Wähler und nicht weißer, gebildeter Schichten führte zu den guten Ergebnissen Nikki Haleys. Das wird, neben seinen juristischen Problemen, am Wahltag sein größtes Problem sein.

Aber er hat vor allem auch einen starken Gegenkandidaten. Das hat Biden in der Nacht auf Freitag mit einer........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play