Das ging dann doch recht flott am Donnerstagmorgen im Europäischen Rat. Gemessen an dem Lärm, den Orbán in den vergangenen Wochen gemacht hat, wirkt es wie eine Kapitulation, dass sich die Staats- und Regierungschefs schon kurz nach Beginn ihrer Sitzung auf ein neues Hilfspaket für die Ukraine einigen konnten.

Man wird den Eindruck nicht los, dass es dem ungarischen Ministerpräsidenten hier mindestens so viel um die Show ging wie um die Sache. Er konnte sich wieder als Blockierer Europas in Szene setzen, am Gipfeltag bekam er sogar noch ein Foto von einer vorgeschalteten Runde mit allen Großen in der EU: Scholz, Macron, Meloni, Michel, von der Leyen. Das ist eine Trophäe, die ein autoritärer Anführer eines kleineren Mitgliedstaates vermutlich gerne aus der Höhle des Löwen in Brüssel mit nach Hause bringt.

Inhaltlich hat er freilich nichts erreicht. Die Ukraine bekommt genau die 50 Milliarden Euro, die Orbán auf dem vergangenen Rat im Dezember noch blockiert hatte. Die vereinbarte Überprüfung in zwei Jahren ändert nichts daran, dass das Geld jetzt in den Haushalt kommt und nur einstimmig wieder daraus entfernt werden kann. Orbán hat die Macht des Vetos in dieser Frage verloren. Und Ungarn selbst erhält weiter nichts von den eingefrorenen Finanzhilfen der EU. Das ist das zweite wichtige Ergebnis des Gipfels. Wenn es ein handfestes Ziel Orbáns gab, dann war es der Versuch, über das Ukrainedossier das blockierte EU-Geld für sein Land freizupressen.

Das darf auf keinen Fall Schule machen. Es war ein Fehler, dass die EU-Kommission Ende vergangenen Jahres versuchte, Orbán mit der Freigabe von Subventionen zu ködern. Hier geht es um Rechtsstaatlichkeit und Korruption in der EU. Es ist den Steuerzahlern in den anderen Mitgliedstaaten nicht zuzumuten, dass Milliarden in einem Land versickern, das im viel beachteten Korruptionsindex von Transparency International den schlechtesten Rang aller EU-Länder einnimmt und dessen Bewertung sich in den vergangenen zehn Jahren besonders stark verschlechtert hat. Wenn Orbán das Geld aus Brüssel will, dann muss er sein Land reformieren.

Dass der Ungar, der gerne weit über seiner Gewichtsklasse kämpft, am Ende beigedreht hat, dürfte an zwei Umständen liegen, die er nicht beeinflussen kann. Zum einen hätten die anderen 26 Mitgliedstaaten durchaus die Möglichkeit gehabt, die Hilfe für die Ukraine außerhalb des regulären EU-Budgets zu organisieren oder auch bilateral. Das wäre komplizierter gewesen, schwächte aber Orbáns Hebel. Außerdem zeigte man ihm kurz vor dem Gipfel ganz offen die Folterinstrumente, als in einem sichtlich gezielt durchgestochenen EU-Dokument darüber nachgedacht wurde, wie die ungarische Wirtschaft unter Druck gesetzt werden könnte.

Das klang nicht in jedem Punkt realistisch, aber eines gehört schon zum Gesamtbild: Das Vetorecht, mit dem Orbán so gerne hantiert, gibt es in der EU nur noch auf ausgewählten Politikfeldern. In den meisten Fragen wird mit Mehrheit entschieden, vor allem wenn es um den Binnenmarkt geht, der für Ungarn wichtig ist. Orbán hat seit der Trennung von der EVP-Fraktion keine politischen Verbündeten mehr in der EU. Wenn er immer wieder Sand ins Getriebe zu streuen versucht, wird er nicht auf Entgegenkommen in Fragen rechnen können, die für Ungarn von Bedeutung sind. Hier sollten auch die Leute in Deutschland genau hinsehen, die von einem Europa der souveränen Vaterländer träumen: In der Praxis endet es nicht selten in souveräner Isolation.

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Für die Ukraine ist der Brüsseler Beschluss eine zweite dringend benötigte Rettungsleine in dieser Woche. Ein Dutzend EU-Staaten hat schon die Militärhilfe erhöht, jetzt erhält das überfallene Land auch das Geld, um zahlungsfähig zu bleiben. Rechnet man Militär- und Finanzhilfe zusammen, dann übertreffen die Europäer sogar das geplante amerikanische Hilfspaket, das immer noch im Kongress feststeckt. Das Geld aus Washington fehlt trotzdem, aber es stimmt nicht, dass Europa nichts tue für seine Sicherheit, wie Trump behauptet.

Zwei Einschränkungen wird man auch an diesem Tag machen müssen. Erstens ist es essenziell, dass die EU sehr genau hinschaut, wohin das Geld in der Ukraine fließt. Die jüngsten Korruptionsfälle im Militär dürfen sich nicht wiederholen, sie schwächen die Kampfkraft und die Moral der Truppe. Zweitens sollte die Ukraine ihr Haus politisch in Ordnung bringen. Die Beschränkung des demokratischen Wettbewerbs tut dem Land nicht gut, wie gerade wieder der Machtkampf Selenskyjs mit seinem Oberbefehlshaber zeigt. Europa investiert in der Ukraine in eine geopolitische Ordnung, zu der Pluralismus gehört. Das muss Kiew deutlicher gemacht werden.

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Orbáns Kapitulation

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01.02.2024

Das ging dann doch recht flott am Donnerstagmorgen im Europäischen Rat. Gemessen an dem Lärm, den Orbán in den vergangenen Wochen gemacht hat, wirkt es wie eine Kapitulation, dass sich die Staats- und Regierungschefs schon kurz nach Beginn ihrer Sitzung auf ein neues Hilfspaket für die Ukraine einigen konnten.

Man wird den Eindruck nicht los, dass es dem ungarischen Ministerpräsidenten hier mindestens so viel um die Show ging wie um die Sache. Er konnte sich wieder als Blockierer Europas in Szene setzen, am Gipfeltag bekam er sogar noch ein Foto von einer vorgeschalteten Runde mit allen Großen in der EU: Scholz, Macron, Meloni, Michel, von der Leyen. Das ist eine Trophäe, die ein autoritärer Anführer eines kleineren Mitgliedstaates vermutlich gerne aus der Höhle des Löwen in Brüssel mit nach Hause bringt.

Inhaltlich hat er freilich nichts erreicht. Die Ukraine bekommt genau die 50 Milliarden Euro, die Orbán auf dem vergangenen Rat im Dezember noch blockiert hatte. Die vereinbarte Überprüfung in zwei Jahren ändert nichts daran, dass das Geld jetzt in den Haushalt kommt und nur einstimmig wieder daraus entfernt werden kann. Orbán hat die Macht des Vetos in dieser Frage verloren. Und........

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