In Europa, gerade auch in Deutschland, herrscht immer noch ein grundsätzliches Missverständnis über Trump. Der Isolationismus, den der frühere Präsident zum außenpolitischen Programm gemacht hat, ist keine Grille eines egomanischen Nationalisten. Sie hat tiefe Ursachen, die hier nur in einer sehr provokanten und ungehobelten Art zum Ausdruck kommen.

Schon gar nicht sollte man darauf setzen, dass Trump von den Realitäten der Weltpolitik eingehegt würde, falls ihm der Wiedereinzug ins Weiße Haus gelingen sollte. Das hat schon in seiner ersten Amtszeit kaum geklappt.

In Wirklichkeit war Trumps Erscheinen auf der politischen Bühne für Europa ein Problem mit Ansage. Schon vor mehr als zehn Jahren, im Juni 2011, hielt der damalige amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates in Brüssel eine Abschiedsrede, in der er die Verbündeten davor warnte, dass die amerikanische Politik bald nicht mehr bereit sein werde, für die Sicherheit Europas aufzukommen.

Er wies darauf hin, dass der künftigen politischen Führung seines Landes die prägende Erfahrung des Kalten Krieges fehle und sie immer weniger einsehen werde, amerikanisches Steuergeld für die Sicherheit von Ländern auszugeben, die ihre eigenen Verteidigungsausgaben stark zurückgefahren haben.

Gates hatte wohl nicht an Trump gedacht, denn der stammt noch aus seiner Generation und galt damals sicher nicht als ernst zu nehmender Anwärter auf das Präsidentenamt. Trotzdem war die Rede prophetisch. Sie nahm eine Argumentation vorweg, die heute hauptsächlich, aber nicht nur in der Republikanischen Partei verbreitet ist.

In Europa wollte das keiner hören. Statt ihre Verteidigungshaushalte in Ordnung zu bringen, vertrödelten die Europäer ein ganzes Jahrzehnt mit Sonntagsreden über die Schaffung einer stärkeren europäischen Verteidigung, die es bis heute nicht gibt. Manche, wie Deutsche und Franzosen, betrieben bekanntlich sogar noch eine Appeasement-Politik gegenüber Putin, obwohl spätestens seit der Krim-Annexion 2014 klar war, wohin die Reise in Moskau ging.

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Dass mancher, der in dieser Zeit politische Verantwortung trug, sich heute mit öffentlichen Ratschlägen zu Wort meldet, ist mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, dass es immer noch deutsche Politiker gibt, die glauben, man könne sich vor Putin schützen, indem man sich von ihm abhängig macht.

Dass die „Zeitenwende“ nicht viel verändert hat, zeigt die Reaktion auf den Verlauf der amerikanischen Vorwahlen. Es ist die übliche Mischung aus öffentlichem Stirnrunzeln und Nichtstun. Eigentlich wäre jetzt die Stunde, in der Europa endlich sein Schicksal selbst in die Hand nimmt: zuallererst bei der Unterstützung der Ukraine, dann bei der Wiederherstellung einer glaubwürdigen Abschreckung in allen größeren Mitgliedstaaten der EU.

Stattdessen zerstritt man sich über die Brüsseler Hilfe für ­Kiew; Frankreich und Italien leisten einen weit unterproportionalen Beitrag; Deutschland kommt mit der Wiederbewaffnung der Bundeswehr nur mühsam voran.

An dieser Entwicklung ist Biden nicht ganz unschuldig. Nach Putins Überfall auf die Ukraine übernahm er, ohne zu zögern, die vertraute Führungsrolle, sowohl materiell als auch politisch. Das liegt vor allem daran, dass der Präsident einer jener Atlantiker alter Schule ist, für die Europa noch einen hohen strategischen Wert hat. Genau deshalb sollte man es nicht als ein Zeichen verstehen, dass Amerika es für immer und ewig richten wird.

Dafür gäbe es nicht einmal eine Garantie, sollte Biden die Wahl im November gewinnen. Bliebe der Kongress gespalten, dann dürfte es mit der Ukrainehilfe weiter schwierig werden. Schon die aktuelle Blockade ist nicht nur Ausdruck eines parteipolitischen Konflikts, sondern auch einer veränderten Prioritätensetzung in Washington.

Besonders deutlich wird das im Fall Israels. Dass der Kongress sich nicht auf ein Hilfspaket für diesen traditionellen und tief mit der amerikanischen Gesellschaft verbundenen Partner einigen kann, wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen.

Im Kern sind das Symptome einer strukturellen Veränderung, die durch Trump nur beschleunigt wurde: Amerika kann die Rolle des Weltpolizisten nicht mehr ausfüllen. Es gibt zu viele Brandherde und zu viele Widersacher, die selbst an Macht gewonnen haben, militärisch wie wirtschaftlich. Der Fokus auf China, den Biden von Trump übernommen hat, ist in Wirklichkeit eine Selbstbeschränkung.

In dieser Lage hat Europa die Wahl zwischen zwei Wegen: die Unterordnung unter Russland, wie es etwa die AfD will, oder die Selbstbehauptung in einer Welt, die nicht im Ansatz so „regelbasiert“ ist, wie man das in Deutschland gerne hätte. Beide Wege sind mit hohen Kosten verbunden, aber nur einer führt in die Freiheit.

QOSHE - Europas Sicherheit ohne Amerika - Nikolas Busse
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Europas Sicherheit ohne Amerika

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30.01.2024

In Europa, gerade auch in Deutschland, herrscht immer noch ein grundsätzliches Missverständnis über Trump. Der Isolationismus, den der frühere Präsident zum außenpolitischen Programm gemacht hat, ist keine Grille eines egomanischen Nationalisten. Sie hat tiefe Ursachen, die hier nur in einer sehr provokanten und ungehobelten Art zum Ausdruck kommen.

Schon gar nicht sollte man darauf setzen, dass Trump von den Realitäten der Weltpolitik eingehegt würde, falls ihm der Wiedereinzug ins Weiße Haus gelingen sollte. Das hat schon in seiner ersten Amtszeit kaum geklappt.

In Wirklichkeit war Trumps Erscheinen auf der politischen Bühne für Europa ein Problem mit Ansage. Schon vor mehr als zehn Jahren, im Juni 2011, hielt der damalige amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates in Brüssel eine Abschiedsrede, in der er die Verbündeten davor warnte, dass die amerikanische Politik bald nicht mehr bereit sein werde, für die Sicherheit Europas aufzukommen.

Er wies darauf hin, dass der künftigen politischen Führung seines Landes die prägende Erfahrung des Kalten Krieges fehle und sie immer weniger einsehen werde, amerikanisches Steuergeld für die Sicherheit von Ländern auszugeben, die ihre eigenen........

© Frankfurter Allgemeine


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