Das deutsch-französische Zerwürfnis mag etwas mit den Persönlichkeiten des Präsidenten und des Kanzlers zu tun haben: dort ein redegewandter Franzose, der mal eine jupiterhafte Herrschaft anstrebte, hier der wortkarge Deutsche, der Politik als Handwerk versteht. Auch die politischen Systeme spielen eine Rolle. Ein französischer Präsident ist von der Stellung und vom Selbstverständnis her Ersatzmonarch in einem Zentralstaat; ein Bundeskanzler ist im föderalen Deutschland oft ein wandelnder Vermittlungsausschuss. Für Scholz, den ersten Regierungschef einer Dreierkoalition, gilt das besonders.
Trotzdem reicht die Sache tiefer. Im Grunde ist eine unausgesprochene Arbeitsteilung zwischen Deutschland und Frankreich zerbrochen, welche die beiden Vormächte Kontinentaleuropas nach der deutschen Wiedervereinigung zusammengehalten hatte: Berlin sah sich zuständig für die Wirtschaft in Europa, Paris für die Verteidigung.
Das war nie ein reibungsloses Arrangement, wie etwa der Streit über Merkels Sparpolitik und die deutschen Überschüsse in der Eurokrise zeigten. Aber am Ende funktionierte es meist. Der Euro wurde gerettet, Berlin half Paris mit der Entsendung der Bundeswehr nach Mali. Gegenüber Russland zog man an einem Strang: Deutschland primär aus wirtschaftlichem Interesse, Frankreich aus gaullistischem Instinkt.
Putins Überfall auf die Ukraine hat diesem Einvernehmen den Boden entzogen. Nicht nur hat er die strategische Naivität in Berlin und Paris entlarvt, er hat beiden Ländern auch ihre politischen und, was noch viel schlimmer ist: ihre materiellen Grenzen aufgezeigt. Deutschland musste zur Kenntnis nehmen, dass es über Jahrzehnte die Welt durch eine rosarote Brille betrachtet und falsch investiert hatte: zu viel Soziales, zu wenig Verteidigung.
Vor allem ist der Führungsanspruch zerbröselt, den Scholz noch zu Beginn seiner Amtszeit erhoben hatte, und das nicht erst in der Taurus-Debatte. Deutschland ist eine Mittelmacht. Aber in der Auseinandersetzung mit Russland zeigt sich, was es bedeutet, wenn man keine Atomwaffen hat. Scholz musste sich in Washington unterhaken, sonst wäre es vielleicht tatsächlich bei der Lieferung von „Schlafsäcken und Helmen“ an die Ukraine geblieben, was Macron kürzlich so undiplomatisch verspottete.
Frankreichs Rolle wurde aber noch stärker infrage gestellt, was sich unter anderem am Zickzackkurs ablesen lässt, den Macron gegenüber Putin fährt. Erst wollte er Russland nicht demütigen, jetzt bringt er die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine ins Gespräch. Wie es um die realen Fähigkeiten der UN-Veto- und Atommacht bestellt ist, lässt sich den Statistiken über die Waffenlieferungen an die Ukraine entnehmen, auch wenn man die in Paris für ungerecht hält. Die Wahrheit ist, dass Macron seinen Teil des deutsch-französischen Deals genau in dem Moment nicht erfüllen kann, in dem Europa vor der ernsthaftesten Bedrohung seit Jahrzehnten steht. Putin hat sogar dazu beigetragen, dass Frankreich aus Westafrika vertrieben wurde.
Für das Selbstbild des Landes ist das mindestens ein so großer Einschnitt wie die Beschränkung der Handlungsfreiheit durch die hohe Staatsverschuldung. Auch Frankreich bleibt letztlich auf Amerikas Ordnungsfunktion in Europa angewiesen, von „strategischer Autonomie“ kann keine Rede sein.
Die Liste der Unverträglichkeiten lässt sich fortsetzen: Frankreichs alter Hang zum Protektionismus, der etwa beim Mercosur-Abkommen mit den Exportinteressen Deutschlands kollidiert, der (reichlich überflüssige) Streit über die Atomkraft, die wiederkehrenden Differenzen über eine Schuldenaufnahme durch die EU. Da prallen Weltanschauungen aufeinander, die auch nicht verschwinden, wenn einer mal nachgibt, wie Deutschland im Fall des Corona-Fonds lernen musste. Es hat sich bewahrheitet, dass Deutschland durch den Brexit in vielen Fragen einen Verbündeten in der EU verloren hat. Dass in Berlin in der Taurus-Frage zunächst nur über eine Zusammenarbeit mit London geredet wurde, nicht aber mit Paris, spricht Bände.
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Ist der „deutsch-französische Motor“ deswegen tot? Vielleicht gibt der Begriff seit Jahren etwas vor, was nicht mehr existiert. Deutschland und Frankreich können die stark gewachsene EU nicht mehr zu zweit steuern, schon allein weil es auf fast allen Politikfeldern Mehrheitsabstimmungen gibt. Im Grunde ist das eine positive Entwicklung, denn es entspricht der europäischen Idee.
Das große Problem bleibt die Abschreckung Russlands. Deshalb müssen sich Deutschland und Frankreich wieder zusammenraufen. Das gilt vor allem für den Fall, dass Trump zurückkehren sollte. Sonst wird Europa wieder einmal erleben, dass auswärtige Mächte die Ordnung auf unserem Kontinent bestimmen.
Europa nicht anderen Mächten überlassen
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15.03.2024
Das deutsch-französische Zerwürfnis mag etwas mit den Persönlichkeiten des Präsidenten und des Kanzlers zu tun haben: dort ein redegewandter Franzose, der mal eine jupiterhafte Herrschaft anstrebte, hier der wortkarge Deutsche, der Politik als Handwerk versteht. Auch die politischen Systeme spielen eine Rolle. Ein französischer Präsident ist von der Stellung und vom Selbstverständnis her Ersatzmonarch in einem Zentralstaat; ein Bundeskanzler ist im föderalen Deutschland oft ein wandelnder Vermittlungsausschuss. Für Scholz, den ersten Regierungschef einer Dreierkoalition, gilt das besonders.
Trotzdem reicht die Sache tiefer. Im Grunde ist eine unausgesprochene Arbeitsteilung zwischen Deutschland und Frankreich zerbrochen, welche die beiden Vormächte Kontinentaleuropas nach der deutschen Wiedervereinigung zusammengehalten hatte: Berlin sah sich zuständig für die Wirtschaft in Europa, Paris für die Verteidigung.
Das war nie ein reibungsloses Arrangement, wie etwa der Streit über Merkels Sparpolitik und die deutschen Überschüsse in der Eurokrise zeigten. Aber am Ende funktionierte es meist. Der Euro wurde gerettet, Berlin half Paris mit der Entsendung der Bundeswehr nach Mali. Gegenüber Russland zog man an einem Strang: Deutschland primär........
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